Celaenas Geschichte 4 - Throne of Glass
hintersten Winkel ihres Bewusstseins meldete sich ein schwacher Impuls, sich die Ohren zuzuhalten, um diese grässliche Stimme nicht hören zu müssen.
»Wie alt seid Ihr?«
Sie antwortete nicht. Sam war tot. Nichts, was sie tun konnte – selbst wenn sie kämpfte, selbst wenn sie tobte –, würde daran etwas ändern.
»Hat Rourke Farran Euch in seinen Klauen gehabt oder seid Ihr einfach störrisch?«
Farrans Gesicht, sein lüsterner Blick, sein anzügliches Grinsen, das sie hilflos machte.
»Na schön«, befand der König. Papiere wurden hin und her geschoben, das einzige Geräusch im totenstillen Raum. »Bestreitet Ihr, dass Ihr Celaena Sardothien seid? Wenn Ihr nicht sprecht, nehme ich Euer Schweigen als Zustimmung.«
Sie hielt den Mund.
»Dann verlest die Anklagepunkte, Ratsherr Rensel.«
Räuspern aus einer männlichen Kehle. »Ihr, Celaena Sardothien, werdet beschuldigt, folgende Menschen getötet zu haben …« Dann folgte eine lange Aufzählung all der Leben, die sie ausgelöscht hatte. Die grausame Geschichte eines Mädchens, das es jetzt nicht mehr gab. Arobynn hatte immer dafür gesorgt, dass die Welt von ihren Taten erfuhr. Sobald wieder jemand Celaena Sardothien zum Opfer gefallen war, hatte er die Nachricht über geheime Kanäle verbreitet. Genau das, was ihr das Recht verschafft hatte, sich Adarlans Assassinin zu nennen, würde ihr nun zum Verhängnis werden. Als der Mann fertig war, fragte er: »Bestreitet Ihr irgendeinen der Anklagepunkte?«
Ihr Atem ging so langsam.
»Euer Schweigen« – der Ratsherr klang ein wenig schrill – »werden wir so interpretieren, dass Ihr nichts bestreitet. Versteht Ihr das?«
Sie rang sich nicht einmal zu einem Nicken durch. Es war sowieso alles vorbei.
»Dann spreche ich nun Euer Urteil«, verkündete der König ungehalten.
Daraufhin Gemurmel, mehr Papierrascheln und ein Hüsteln. Das Licht auf dem Boden flackerte. Die Wachen ließen sie nicht aus den Augen, die Waffen im Anschlag.
Plötzlich hörte sie vom Tisch her dumpfe Schritte auf sich zukommen, dazu das Geklirr von Waffen, die ausgerichtet wurden. Sie wusste, wessen Schritte es waren, bevor der König überhaupt vor ihrem Stuhl stand.
»Seht mich an.«
Sie hielt den Blick auf seine Stiefel gerichtet.
»Seht mich an.«
Jetzt war alles egal, oder? Er hatte schon so viel von Erilea zerstört – und auch von ihr, ohne es überhaupt zu wissen.
»Seht mich an.«
Celaena hob den Kopf und sah den König von Adarlan an.
Das Blut wich aus ihrem Gesicht. Diese schwarzen Augen waren im Begriff, die Welt zu verschlingen; die Züge waren hart und zerfurcht. Auf seinem Kopf ruhte keine Krone. Er war in eine feine Tunika und einen Pelzumhang gekleidet und um die Hüfte trug er ein Schwert – das Schwert, dessen Namen jedermann kannte.
Sie musste hier weg. Musste raus aus diesem Raum, weg von ihm.
Weg.
»Habt Ihr irgendeine letzte Bitte, bevor ich Euer Urteil verkünde?«, fragte er, während diese Augen weiterhin alle Abwehrmechanismen unterliefen, die sie sich je angeeignet hatte. Sie konnte noch immer den Rauch riechen, der vor neun Jahren jeden Quadratmeter vonTerrasen erstickt hatte, konnte den Geruch von verbrennendem Fleisch wahrnehmen und die vergeblichen Schreie hören, als der König und seine Armeen jedes Anzeichen von Widerstand, jede einzelne Spur von Magie vernichtet hatten. Ganz gleich, was Arobynn ihr beigebracht hatte, die Erinnerungen an diese letzten Wochen vor Terrasens Untergang hatten sich unauslöschlich eingeprägt. Deshalb starrte sie ihn nur an.
Da sie nicht antwortete, machte er auf dem Absatz kehrt und ging zum Tisch zurück.
Sie musste weg. Endgültig. Ein keckes, törichtes Feuer flackerte in ihr auf und verwandelte sie – nur für einen Moment – in das Mädchen, das sie einmal gewesen war.
»Die habe ich«, erwiderte sie mit rauer Stimme.
Der König hielt inne und sah über die Schulter.
Sie lächelte, ein böses, wildes Lächeln. » Macht schnell .«
Es war eine Aufforderung, keine Bitte. Der königliche Rat und die Wachen horchten auf, manche tuschelten.
Die Augen des Königs zogen sich leicht zusammen und als er sie anlächelte, war es das Grauenhafteste, was sie je gesehen hatte.
»Ach ja?«, fragte er, während er sich nun vollends zu ihr umdrehte.
Das törichte Feuer erlosch.
»Falls Ihr Euch einen leichten Tod wünscht, Celaena Sardothien, den werdet Ihr ganz gewiss nicht bekommen. Nicht bis Ihr ausreichend gelitten habt.«
Die Welt balancierte auf
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