Chalions Fluch
bleiben. Cazaril räusperte sich. »Ihr wisst, dass der Fluch von Iselle und Bergon genommen wurde, und von allen anderen, und dass er Chalion nicht länger heimsucht?«
»Ja. Iselle hat es mir erzählt, soweit sie selbst es verstanden hat. Aber ich wusste es, als es geschah. Meine Zofen hatten mich gerade angekleidet, für die Teilnahme an den Morgengebeten zum Tag der Tochter. Nichts war zu sehen, nichts zu hören oder zu spüren, und doch war es so, als hätte ein Nebel sich von meinem Verstand gehoben. Ich hatte zuvor nie bemerkt, wie eng der Fluch mich umfangen hatte … wie ein feuchtkalter Dunst auf der Haut meiner Seele. Erst als dieser Nebel sich lichtete, habe ich es erkannt. Damals tat es mir Leid, denn ich hatte angenommen, dass Ihr gestorben seid.«
»Das bin ich tatsächlich, aber die Herrin hat mich in die Welt zurückgeschoben … das heißt, zurück in meinen Körper. Mein Freund Palli ist der Ansicht, dass Sie mich verkehrt herum wieder eingesetzt hat.« Er lächelte unruhig.
Ista blickte zu Boden. »Mit dem Ende des Fluchs konnte ich mein Leid umso deutlicher erkennen, und zugleich schien es weiter fortzurücken. Es war ein sehr merkwürdiges Gefühl.«
Cazaril räusperte sich. »Ihr hattet Recht, Lady Ista, was die Prophezeiung angeht – die drei Tode. Ich habe mich mit meinen Heiratsplänen getäuscht und selbst betrogen, weil ich Angst hatte. Euer Weg schien mir zu mühevoll. Doch durch die Gnade der Herrin wendete sich am Ende doch alles zum Guten, trotz meines Irrtums.«
Sie nickte. »Ich hätte es selbst getan, hätte ich gekonnt. Mein Opfer wurde offenbar als nicht würdig erachtet.« Verbitterung klang aus ihrer Stimme.
»Daran lag es nicht«, widersprach Cazaril. »Das heißt … irgendwie schon, aber nicht so. Es hat etwas mit der Beschaffenheit Eurer Seele zu tun, nicht mit deren Wert. Man muss sich selbst zu einem Gefäß machen, das aufzunehmen vermag, was von den Göttern herüberfließt. Ihr aber seid ein Schwert und wart es stets, wie auch Eure Mutter und Eure Tochter – die Frauen Eurer Familie haben ein eisernes Rückgrat. Ich weiß nun, weshalb mir früher niemals Heilige aufgefallen sind: Die Welt bricht sich nicht an ihrem Willen, wie die Wellen an einem Felsen. Sie teilt sich auch nicht um sie herum wie das Kielwasser um ein Schiff. Heilige sind beweglich; sie schwimmen so unauffällig durch die Welt wie Fische durchs Wasser.«
Ista runzelte die Stirn, doch Cazaril war sich nicht sicher, ob sie damit Zustimmung, Widerspruch oder höfliche kaschierten Unglauben zum Ausdruck brachte.
»Wohin wollt Ihr nun gehen?«, fragte er. »Jetzt, wo es Euch besser geht.«
Sie zuckte die Achseln. »Meine Mutter wird alt und gebrechlich. Ich denke, wir werden die Plätze tauschen, und ich werde mich in der Burg von Valenda um sie kümmern, so wie sie sich vorher um mich gekümmert hat. Am liebsten würde ich allerdings irgendwohin gehen, wo ich noch nie zuvor gewesen bin. Weder nach Valenda noch nach Cardegoss, sondern an einen Ort, mit dem sich keine Erinnerungen verbinden.«
Darauf wusste Cazaril nichts zu erwidern. Er dachte an Umegat, der nicht eben ihr geistlicher Berater war, aber doch so erfahren mit Verlust und Kummer, dass Erholung für ihn kaum mehr als Gewohnheit war. Ista hatte noch weitere zwanzig Jahre vor sich, um so ausgeglichen zu werden. Umegat mochte so alt gewesen sein wie sie jetzt, als er den geschundenen Körper seines Freundes nach dem schrecklichen Vorfall zurückbekommen hatte. Vielleicht hatte auch Umegat damals derart herzzerreißend geklagt und mit dem Schicksal gehadert, so wie sie es getan hatte, oder er hatte die Götter so bitter verflucht wie sie in ihrer eisigen Stille.
»Ich sollte Euch mit meinem Freund Umegat bekannt machen«, ließ er Ista wissen. »Er war der Heilige, der für Oricos Gesundheit sorgen sollte … der vormalige Heilige, so wie Ihr und ich. Ich glaube, Ihr und Umegat könntet aufschlussreiche Gespräche führen.«
Vorsichtig öffnete sie die Hand, eine Geste, die seine Idee weder aufgriff noch ablehnte, und Cazaril beschloss, die beiden einander später vorzustellen.
Zunächst aber versuchte er, Ista wieder auf angenehmere Gedanken zu bringen. Er fragte nach Iselles Krönung. Gemeinsam mit der stolzen und erwartungsvollen Herzogin war Ista gerade rechtzeitig zur Teilnahme in Cardegoss eingetroffen. Cazaril hatte zuvor schon vier oder fünf Leute gebeten, ihm das Ereignis zu schildern, und er war der Berichte noch immer nicht
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