Chalions Fluch
sie anzog. Im Geiste sah er seine Kupfermünzen dahinschwinden, doch die Dienste einer Wäscherin waren es wert.
Die letzte Nacht hatte er in einer Scheune verbracht. Zitternd hatte er im Stroh gelegen; sein Abendessen war ein halber Laib altbackenen Brotes gewesen. Die andere Hälfte hatte er zum Frühstück verzehrt. Fast 300 Meilen lagen zwischen der Hafenstadt Zagosur, an der milden Küste Ibras, und dem Innern von Baocia, der zentralen Provinz Chalions. Unterwegs war Cazaril nicht annähernd so schnell vorangekommen, wie er vermutet hatte. Das Siechenhaus von der Mutter Gnade beim Tempel in Zagosur stand jenen Menschen bei, die von der See an Land gespült wurden – auf welche Weise sie auch gestrandet sein mochten. Der Notgroschen, den die Tempelbrüder ihm zugesteckt hatten, schwand rasch und war schließlich gänzlich aufgezehrt, bevor er sein Ziel erreicht hatte. Aber erst kurz davor.
Einen Tag, schätzte Cazaril, vielleicht weniger. Wenn er nur noch einen Tag länger einen Fuß vor den anderen zu setzen vermochte, könnte er seine Zuflucht erreichen und sich dort verkriechen.
Beim Aufbruch in Ibra hatte er den Kopf voller Pläne gehabt, wie er die Herzoginwitwe um einen Platz in ihrem Hause bitten würde, um der alten Zeiten willen. Am niedersten Platz ihrer Tafel, wenn es sein musste. Irgendwo, irgendwie mochte sie ihn unterbringen, solange es nicht über seine Kräfte ging. Sein Ehrgeiz schwand, als er sich über die Gebirgspässe nach Osten in die kühleren Höhen des zentralen Hochlands mühte. Der Majordomus der Herzogin, oder ihr Stallmeister, würden ihm vielleicht einen Platz in ihren Ställen oder in der Küche einräumen. Dann müsste er die Herrin selbst gar nicht erst mit seinem Anliegen behelligen. Wenn er als Tellerwäscher unterkam, musste er nicht einmal seinen wirklichen Namen nennen. Vermutlich lebte in dem Haushalt ohnehin niemand mehr, der ihn noch aus jenen glücklichen Zeiten kannte, da er als Page dem vormaligen Herzog dy Baocia gedient hatte.
Dieser Traum hatte ihn vorangetrieben in den letzten Winterwinden: ein stiller, verschämter Winkel bei einem Herdfeuer, namenlos und vergessen, wo ein Koch das schrecklichste Geschöpf war, das ihn anbrüllen konnte und nichts Schlimmeres von ihm verlangte, als Wasser zu holen oder Feuerholz herbeizuschaffen. Diese Vorstellung von Ruhe wurde ihm zur Besessenheit und trieb ihn voran – wie auch das Wissen, dass jeder Schritt ihn weiter weg führte vom Schrecken des Meeres. Auf der einsamen Straße hatte er sich manche Stunde damit betäubt, passende Namen für sein neues ärmliches Dasein zu ersinnen. Doch wie es schien, musste er nun doch nicht in den abgelegten Lumpen armer Leute vor die entsetzten Augen des herzoglichen Hofstaats treten. Stattdessen bettelt Cazaril lieber bei einem Bauern um die Kleidung eines Leichnams und ist beiden dankbar für den Gefallen. Untertänigst dankbar. Untertänigst.
Die Stadt Valenda breitete sich über ihren niedrigen Hügel aus wie eine reich verzierte Steppdecke in Rot und Gold – rot von den ziegelgedeckten Dächern, gold für den heimischen Bruchstein, beides glänzend im Sonnenlicht. Blinzelnd schaute Cazaril auf die blendenden Farben, die vertrauten Schattierungen seiner Heimat. In Ibra waren alle Häuser weiß getüncht, zu hell für die heiße Mittagssonne im Norden, ausgebleicht und blendend. Dieser ockerfarbene Sandstein hier war der beste Farbton für ein Haus, eine Stadt, ein ganzes Land – eine Wohltat für die Augen!
Auf der Hügelkuppe erhob sich wie eine goldene Krone die Burg der Herzogin. Vor Cazarils Augen schienen die Mauern zu schwanken. Er starrte darauf, ein wenig entmutigt vom Anblick. Dann schleppte er sich weiter voran, und trotz der zittrigen, müden Schwäche seiner Beine schritt er schneller aus als während der gesamten langen Reise zuvor.
Die Marktstunde war bereits vorüber, und so waren die Straßen still und leer, als er zum Stadtplatz ging. Am Tor zum Tempel wandte er sich an eine ältere Frau, die nicht so aussah, als würde sie ihm folgen und ihn ausrauben. Er fragte sie nach dem Weg zu einem Geldwechsler. Dieser drückte ihm eine zufrieden stellende Anzahl an Kupfer-Vaidas in die Hand, im Tausch gegen den kleinen Royal, und wies ihm dann den Weg zu einer Wäscherin und zum öffentlichen Badehaus. Unterwegs hielt Cazaril gerade lange genug, um bei einem einsamen Straßenhändler einen Ölkuchen zu erstehen und zu verzehren.
Auf dem Tresen der Wäscherei
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