Chalions Fluch
Schweiß.
Cazaril blickte auf den frei geräumten Boden aus gestampftem Lehm rund um den Mann und verwarf seinen ersten Gedanken, dass der arme Kerl unten auf der Straße ermordet und ausgeraubt worden war, bevor man ihn nach hier oben außer Sicht geschafft hatte. Fünf Kerzenstümpfe waren ringsum zu Pfützen aus blauem, rotem, grünem, schwarzem und weißem Wachs heruntergebrannt. Dazwischen befanden sich kleine Häufchen aus Kräutern und Asche, die nun überall verstreut waren. Eine dunkle, zerzauste Ansammlung von Federn im Schatten erwies sich als tote Krähe mit umgedrehtem Hals. Eine weitere rasche Suche förderte eine tote Ratte zu Tage, die mit der Krähe zusammen verschieden war. Ihre kleine Kehle war durchgeschnitten. Ratte und Krähe, geheiligte Tiere des Bastards, des Gottes aller Katastrophen, die zu jeder Jahreszeit ungelegen kamen: Wirbelstürme, Erdbeben, Dürren, Überschwemmungen, Fehlgeburten, Morde …
Du wolltest die Götter zwingen, ist es nicht so? Dieser Narr hatte sich an einem Todeszauber versucht, und wie es aussah, hatte er den gewohnten Preis dafür entrichtet. War er allein gewesen?
Ohne etwas anzurühren, stemmte Cazaril sich hoch und sah sich um, innerhalb und außerhalb der baufälligen Mühle. Weder Taschen noch Mäntel noch andere Besitztümer lagen in den Ecken. Mehrere Pferde waren gegenüber an der Straße angebunden gewesen; ihren feuchten Hinterlassenschaften nach zu urteilen war es noch nicht lange her. Nun aber waren die Tiere fort.
Cazaril seufzte. Das war zwar nicht seine Angelegenheit, aber es wäre pietätlos gewesen, einen Mann tot liegen zu lassen, unbestattet der Verwesung preisgegeben. Die Götter allein mochten wissen, wie lange es dauerte, bis jemand anders ihn fand. Andererseits war der Tote augenscheinlich eine gut situierte Persönlichkeit gewesen – irgendjemand würde gewiss nach ihm Ausschau halten. Er zählte bestimmt nicht zu den Menschen, die spurlos verschwanden wie ein heruntergekommener Landstreicher, ohne das jemand sie vermisste. Cazaril widerstand der Versuchung, zurück zur Straße zu gehen, seinen Weg fortzusetzen und so zu tun, als habe er den Mann nie gesehen.
Stattdessen folgte er dem Weg, der von der Rückseite der Mühle wegführte. An seinem Ende musste ein Gehöft zu finden sein, Menschen, irgendetwas. Er war erst ein paar Minuten unterwegs, als ihm ein Mann entgegenkam, der einen Esel mit sich führte. Schwer beladen mit Reisig und Holz kam das Tier um eine Wegbiegung. Der Mann hielt an und beäugte Cazaril misstrauisch.
»Möge die Frühlingsherrin Euch einen guten Morgen schenken, Herr«, grüßte Cazaril höflich. Was konnte es ihm schaden, einen Bauern als »Herrn« zu titulieren? Während des namenlosen Grauens als Galeerensklave hatte er weit geringeren Menschen die Füße geküsst.
Der Mann schenkte ihm einen abschätzenden Blick und dann einen halbherzigen Gruß. »Bei der Herrin«, murmelte er.
»Ihr wohnt hier draußen?«
»Ja«, erwiderte der Mann. Er war mittleren Alters und gut genährt; sein Kapuzenmantel, von ähnlicher Machart wie Cazarils weitaus schäbigeres Exemplar, war schlicht, aber zweckmäßig. Der Mann schritt dahin, als gehöre ihm das Land – vermutlich aber nicht viel mehr.
»Ich, äh …« Cazaril zeigte nach hinten den Weg entlang. »Ich hatte kurz die Straße verlassen, um in der Mühle dort oben Schutz zu suchen …« Er sparte sich die Einzelheiten und führte nicht aus, wovor er Schutz gesucht hatte. »Und da habe ich einen Toten entdeckt.«
»Ja«, sagte der Mann.
Cazaril zögerte und wünschte sich, er hätte den Stein mitgenommen. »Ihr habt davon gewusst?«
»Hab sein Pferd da oben angebunden gesehen, heute Morgen.«
»Oh.« Also hätte Cazaril zurück zur Straße gehen können, ohne dass es jemandem geschadet hätte. »Habt Ihr eine Ahnung, wer der arme Bursche war?«
Der Bauer zuckte mit den Achseln und spuckte aus. »Von hier kommt der nicht – mehr weiß ich nicht. Die Priesterin aus unserem Tempel war auch schon dort. Da muss letzte Nacht eine üble Sache getrieben worden sein. Die Priesterin hat alles von dem Kerl mitgenommen, was leicht fortzuschaffen war. Wollte es aufbewahren, bis jemand danach fragt. Sein Pferd steht jetzt in meiner Scheune. Ein angemessener Preis für das Holz und das Öl, mit dem ich ihm den Abgang erleichtert habe. Die Geistliche sagte, man dürfe ihn dort keinesfalls bis zum Einbruch der Dunkelheit liegen lassen.« Er wies auf das hoch aufgetürmte
Weitere Kostenlose Bücher