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Charlston Girl

Charlston Girl

Titel: Charlston Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
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zwinkert, was offenbar heißt, dass ich reden soll.
    »Wusstest du, dass ich inzwischen Headhunterin bin?« Ich lächle unsicher. »Ich habe mich mit einer Freundin zusammengetan. Wir nennen uns L&N Executive Recruitment. Dürfte ich dir ein bisschen über unsere Firma erzählen?«
    Onkel Bill runzelt die Stirn und sieht mich einen Moment nachdenklich an, dann sagt er: »Augenblick mal, Paulo.«
    Oh, wow! Er unterbricht sein Telefonat! Für mich!
    »Wir haben uns darauf spezialisiert, hochqualifizierte, motivierte Leute für leitende Positionen zu suchen«, sage ich und versuche, nicht zu haspeln. »Ich dachte, vielleicht könnte ich mit jemandem in deiner Personalabteilung sprechen und ihm mal erklären, wie wir arbeiten. Vielleicht können wir da irgendwie zusammenkommen...«
    »Lara.« Onkel Bill hebt eine Hand, um mich zu unterbrechen. »Was würdest du sagen, wenn ich dich mit meiner Personalchefin zusammenbringen und ihr sagen würde: ›Das ist meine Nichte, geben Sie ihr eine Chance‹?«
    Ich spüre, wie in mir die reine Freude explodiert. Ich möchte Halleluja singen. Es hat sich gelohnt, aufs Ganze zu gehen!
    »Ich würde sagen: ›Vielen Dank, Onkel Bill!‹, bringe ich hervor und versuche, ruhig zu bleiben. »Ich würde alles geben, ich würde rund um die Uhr arbeiten. Ich wäre so dankbar...«
    »Nein.« Er unterbricht mich. »Wärst du nicht. Du hättest keinen Respekt vor dir.«
    »W-was?« Ich stutze.
    »Ich sage nein.« Mit strahlend weißem Lächeln sieht er mich an. »Ich tue dir nur einen Gefallen, Lara. Wenn du es aus eigener Kraft schaffst, geht es dir viel besser. Dann hast du das Gefühl, dass du es auch verdient hast.«
    »Ach so.« Ich schlucke. Meine Wangen brennen vor Verlegenheit. »Ich meine, ich will es mir ja verdienen. Ich will hart arbeiten. Ich dachte nur, vielleicht...«
    »Wenn ich es mit zwei kleinen Münzen schaffen konnte, Lara, kannst du es auch.« Er sieht mir einen Moment lang in die Augen. »Glaub an dich. Glaub an deinen Traum. Hier.«
    Oh, nein. Bitte nicht. Er greift in seine Tasche und hält mir zwei Zehn-Pence-Stücke hin.
    »Das sind deine zwei kleinen Münzen.« Mit tiefem, ernstem Blick sieht er mich an, genauso wie er es im Fernsehen macht. »Lara, schließe die Augen. Fühl es. Glaub es. Sag: ›Damit fange ich an.«‹
    »Damit fange ich an«, murre ich und winde mich. »Danke.«
    Onkel Bill nickt, dann widmet er sich wieder seinem Handy. »Paulo. Entschuldige bitte.«
    Mir ist ganz heiß vor Scham, als ich mich davonmache. So viel zum Wahrnehmen von Gelegenheiten. So viel zu Kontakten. Ich will nur noch diese elende Beerdigung hinter mich bringen und nach Hause.
    Ich gehe ums Gebäude und durch die gläsernen Eingangstüren ins Bestattungsinstitut, wo ich mich in einem Foyer mit Polstersesseln, Taubenbildern und stickiger Luft wiederfinde. Es ist niemand da, nicht mal am Empfang.
    Plötzlich höre ich hinter einer hellen Holztür ein Singen. Scheiße. Es hat schon angefangen. Ich verpasse es gerade. Eilig stoße ich die Tür auf und sehe vollbesetzte Bänke. Der Raum ist so überfüllt, dass die hinten Stehenden Platz machen müssen. So unauffällig wie möglich suche ich mir eine Lücke.
    Auf der Suche nach Mum und Dad sehe ich mich um, überwältigt von den vielen Menschen. Und den Blumen. Links und rechts stehen prächtige Arrangements in Weiß und Creme. Vorn singt eine Frau Andrew Lloyd Webbers »Pie Jesu«, aber vor mir stehen so viele Leute, dass ich nichts sehen kann. Ganz in der Nähe schniefen welche, und einem Mädchen laufen die Tränen nur so übers Gesicht. Ich bin etwas bestürzt. All diese Menschen sind wegen meiner Großtante gekommen, und ich kannte sie überhaupt nicht.
    Ich habe nicht mal Blumen geschickt, wie mir beschämenderweise bewusst wird. Hätte ich eine Karte schreiben sollen oder irgendwas? Oh Gott, ich hoffe, Mum und Dad haben sich darum gekümmert.
    Die Musik ist so hübsch, und die Atmosphäre so emotional aufgeladen, dass ich plötzlich merke, wie meine Augen brennen. Neben mir steht eine alte Dame mit schwarzem Samthut, die mich mitfühlend ansieht.
    »Haben Sie ein Taschentuch, Kindchen?«, flüstert sie.
    »Nein«, muss ich zugeben, und sie klappt sofort ihre große, altmodische Handtasche auf. Ein Duft von Kampfer steigt hervor, und ich sehe mehrere Brillen, eine Schachtel Pfefferminz, ein Päckchen Haarnadeln und ein halbes Paket Verdauungskekse.
    »Bei einer Beerdigung sollte man immer ein Taschentuch dabeihaben.« Sie

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