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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Carey
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Fenster auch beim schlimmsten Unwetter geöffnet ließen.
    Jeden Morgen, sobald die Hydrotherapie beendet und der Boden des Kinderzimmers aufgewischt worden war, saßen Percy und ich über eine Schale mit Obst und Haferflocken gebeugt und planten unsere ›Abenteuer der beiden wahren Freunde‹. Im Dorf hielt man mich anscheinend für ›plemplem‹, da man mich gesehen hatte, wie ich mit meinem kranken Sohn im Arm eine Eiche hinaufkletterte. Nun, plemplem vielleicht, nur war ich es, der Percys Gesichtsausdruck sah, als er die vier fahlen Eier des Buntspechts entdeckte.
    Dr. Kneipp hielt sich in Malvern auf, doch standen wir in reger Korrespondenz, und es kam auch nicht ein einziges Mal vor, dass er meine instinktiven Bemühungen falsch fand. Dazu zähle ich insbesondere auch jene Vorfälle, die ›verrückt‹ genannt worden sind, etwa als ich den reißenden River Race mit dem nackten Invaliden im Arm überquerte. »Vergessen Sie nie«, schrieb Kneipp, »dass nahezu jede Behandlung besser ist als der Zustand, den Sie behandeln.«
    Trotz ihres Porträts und der neuen amüsanten Freunde begriff ich bloß allmählich, welch schlimme Qualen mein Optimismus meiner Frau bereitete. Erst als es zu spät war, als sie vollständig von mir entfremdet war, sah ich ein, welchen Schaden ich angerichtet hatte. Doch ich bin nun mal, wie ich bin. Ich konnte nicht aufgeben, und ich hegte immer noch die Hoffnung, würde Hermione erst einmal begreifen, dass wir unseren Sohn nicht verloren, dann müsste ihr Herz einfach vor Glück bersten und sie uns wieder lieben, uns beide.
    Ich machte mit der Behandlung eindeutig Fortschritte, auch wenn es oft schien, dass nur Kneipp und ich die Anzeichen dafür zu deuten wussten. Und dann, ganz zufällig, stieß ich auf die Pläne. Sie waren schon hundert Jahre alt, als sie von der
London Illustrated News
veröffentlicht wurden, doch erkannte ich auf Anhieb ihre Möglichkeiten und setzte einen der Konstruktionszeichner meines Bruders daran, sie sauber zu übertragen, und sobald er mit Querschnitt etc. fertig war, sahen die Pläne aus, als handelte es sich dabei um einen Teil des Bauantrags für die neue Brandling-Eisenbahn.
    Als mein kleiner Bursche die Zeichnung für Monsieur Vaucansons geniale Ente sah, stieß er einen Schrei aus – ein lautes
hussa
! Und es war Balsam für meine Seele, die Farbe in seine Wangen schießen, das Leben in den Augen blitzen zu sehen, als ich jene Kraft beobachtete, die Dr. Kneipp ›magnetische Agitation‹ nennt, eine hochentwickelte Form von Neugier oder Verlangen.
    Ich dachte, lieber Gott, das Schlimmste haben wir hinter uns.
    Zehn Planpausen bedeckten sein Bett. »Ach, Papa«, sagte er, »es ist ein Wunder.«
    Da wusste ich, dass er leben würde. Wie munter er doch reagierte, als ich ihm erklärte, dass man, hielte man sich genau an die Instruktionen der Pläne, eine clevere, seelenlose Kreatur schüfe, die mit den Flügeln flattern, Wasser trinken, Korn fressen und defäktieren konnte, wobei letztere jene Tätigkeit war, die meinen Sohn am deutlichsten amüsierte, während sie das Sittlichkeitsgefühl seiner Mutter verletzte, die, trotz ihrer Empörung über die Vulgarität der Ente, nicht umhin konnte, das gute Resultat zu sehen.
    Brandling. Kat. Nr. MSL / 1848 /.V 31
    Die Folge dessen war nicht exakt das, was ich mir gewünscht hatte, und ich muss sagen, dass ich ein, zwei Tage nicht recht verstand, was mir widerfahren war. Nach Hermiones Ansicht stand außer Frage, dass ich Percy zugesichert hatte, die Ente bauen zu lassen.
    »Verstehst du denn nicht, dass du deinem Sohn ein Versprechen gegeben hast?«
    »Nein.«
    »Dann hast du nur deinen Spaß mit ihm getrieben. Wie kannst du bloß so grausam sein?«
    »Aber, Hermione, dafür müsste ich ins Ausland fahren.«
    »Nun, du wirst am besten wissen, was nötig ist.«
    Sie war eine Lyall, soll heißen, in ihr brannte ein heißes Feuer, was typisch für diese Familie zu sein schien, beinahe als wäre die Hitze der Lyalls Teil jenes Fermentierungsprozesses, der ihnen ihre Unternehmungen in Newcastle sicherte. Jetzt aber, bei diesem einsamen Abendmahl, das ich so bald nicht vergessen würde, begriff ich, dass sie diese Hitze wie eine Schweißflamme eingesetzt hatte, um mich zur Abreise aus meinem eigenen Haus zu bewegen.
    2
    Am nächsten Morgen am Frühstückstisch der beiden wahren Freunde fragte mich mein Sohn: »Wann fährst du, Papa?«
    Also hatte seine Mutter ihn bereits eingeweiht.
    »Wirst du denn gar nicht

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