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Die Fehler-Raeuber

Die Fehler-Raeuber

Titel: Die Fehler-Raeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schlueter
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Verloren
    Johanna hockte auf ihrem Platz, stützte den Kopf in die Hände und seufzte. Sie konnte sich einfach nicht auf den Unterricht konzentrieren.
    „Was hast du?“, fragte ihre Sitznachbarin und beste Freundin Söngul.
    Johanna blickte auf und seufzte erneut. „Nichts!“, antwortete sie, aber das stimmte nicht. Kummer hatte sie. Sehnsucht. Aber davon konnte sie Söngul nichts erzählen, denn Söngul hielt Johannas Problem für ein Hirngespinst.
    Die Unterrichtsstunde endete, ohne dass sich Johannas Laune besserte. Der Lehrerin Frau Richterkamp war während einer vollen Unterrichtsstunde nicht ein einziger Fehler unterlaufen. Das hatte es seit vier Wochen nicht mehr gegeben.
    Über sich selbst verblüfft schwebte die Lehrerin am Ende der Stunde wie auf Wolken aus dem Klassenzimmer. Der Grund für ihre Fröhlichkeit war der gleiche, der Johanna so betrübt dasitzen ließ: Mörfi fehlte! Johanna hatte keine Ahnung, wohin und weshalb Mörfi verschwunden war. Sie hatte sich innerhalb der vergangenen vier Wochen so sehr an Mörfi gewöhnt, dass sie nicht geahnt hatte, wie öde das Leben ohne das Fehlerteufelchen sein konnte. Auch in der folgenden Stunde wurde es nicht besser. So lange bis ihr Lehrer, Herr Kranich, die Schüler aufforderte, Hefte und Stifte hervorzuholen.
    Johanna hatte wie alle anderen ihr Heft aufgeschlagen und ihren Füllfederhalter bereitgelegt. Plötzlich entdeckte sie einen hässlichen blauen Fleck auf ihrem Heft. Ohne ersichtlichen Grund war die Patrone des Füllers ausgelaufen! Jedes andere Kind hätte schnellstens nach Taschentüchern gegriffen, um die Schmiererei einzudämmen. Nicht so Johanna. Mit einem Freudenschrei sprang sie auf, sodass Herr Kranich sich verwundert umdrehte.
    Johanna beachtete ihn nicht. Ein Füller tropfte nicht grundlos einen dicken Tintenfleck aufs Heft, außer er war fehlerhaft. Sie krabbelte auf allen vieren unter dem Tisch herum und suchte nach der Ursache für diesen Fehler. Es konnte nur eine geben: Mörfi befand sich in der Nähe!
    „Sag mal, bist du von allen guten Geistern verlassen?“, fragte der Lehrer.
    „Nein!“, antwortete Johanna und schaute mit der Nasenspitze über die Tischkante. „Ganz im Gegenteil!“
    Schon war ihr Kopf wieder unter dem Tisch verschwunden, weil sie nun in ihrer Schultasche nach Mörfi suchte.

    Verärgert schnauzte Herr Kranich sie an: „Setz dich gefälligst ordentlich auf deinen Stuhl. Aber ein bisschen dalli!“
    Johanna war wie von Sinnen. Zu sehr hatte sie sich um Mörfi gesorgt, als dass sie die Suche jetzt hätte abbrechen können. Selbstverständlich hätte sie ihrem Lehrer das gern erklärt, aber leider konnte Herr Kranich Mörfi nicht sehen. Niemand konnte das, außer Johanna. So kroch sie weiter auf dem Boden herum und flüsterte: „Wo steckst du? Nun zeig dich doch!“
    Keine zwei Minuten später fand sie sich vor der Klassentür wieder. Rausgeflogen!
    Ehe sie so richtig bemerkte, was mit ihr geschehen war, meldete sich endlich eine leise, helle Stimme: „Na endlich, Tradeltönte. Wo stackst du denn so lenge?“
    Johanna horchte auf. Die Stimme kannte sie!
    Typisch Mörfi. Erst spurlos verschwunden, sodass Johanna sich sorgen musste, und dann tauchte das Fehlerteufelchen aus dem Nichts wieder auf: frech und keck, als ob nichts gewesen wäre.
    „Wer wartet hier auf wen?“, antwortete Johanna. „Du warst es doch, der verschwunden war!“
    Was hieß hier überhaupt war? Noch immer konnte Johanna Mörfi nicht sehen.
    „Verschwunden, nicht gefunden!“, klagte Mörfi von irgendwoher. „Kotostraphe!“
    „Katastrophe?“, fragte Johanna nach. Sie wusste, Mörfi vertauschte besonders heftig die Buchstaben, wenn es aufgeregt war.
    Endlich wurde es fündig. Mörfi hockte auf einem Garderobenhaken, ließ traurig den Kopf hängen, schüttelte ihn hin und wieder und jammerte: „Verlegt, verloren, gestohlen, muss ihn wiederholen.“
    Johanna pflückte das kleine Wesen vom Haken, hielt es behutsam in ihrer Hand und fragte: „Was ist passiert?“
    „Kotostraphe!“, wiederholte Mörfi. „Unglück! Mist geschickt!“ Es streckte Johanna die leeren Händchen entgegen.
    Katastrophe? Unglück? Missgeschick?
    Johanna betrachtete das kleine Teufelchen und erkannte schnell, was Mörfi meinte. „Dein Fehlerwerfer fehlt!“

    Mörfi nickte traurig. Ein Fehlerteufelchen ohne Fehlerwerfer, das war wie ein Schwimmbecken ohne Wasser, eine Schule ohne Schüler, ein Zimmer ohne Fenster: trostlos, sinnlos, einfach undenkbar.

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