Chimaeren
.«
»Vorstellung wovon?«
Einfach nur zu reden, Worte in die bodenlos gähnende Kluft zu streuen, die sich zwischen ihnen aufgetan hatte, half. Ein wenig. Letztlich aber blieb die Wiederbegegnung im Park seltsam und un-wirklich, und Seven mußte sich fragen, ob die Ursache des Realitätsschwunds, den sie an sich feststellte, bei ihr selbst oder bei Maguire zu suchen war.
»Laß mich! Laß mich in Ruhe ster-!« Seine Stimme brach ab.
Tausend Gedanken stoben durch Sevens Hirn, gerade so, als würden sie von einem jenseitigen Wind gepeitscht.
War Ryder etwa todkrank und hatte nur ein letztes Mal mit einer Frau Zusammensein wollen? Welche Tragik verbarg sich hinter seinem unentschuldbaren Verhalten?
Sie seufzte kaum hörbar. Seit sie in dieser Stadt lebte - geboren war sie auf einer kleinen Outback-Farm bei Quilpie -, hatte sie versucht, ein Teil von ihr zu werden. Eine Mit bewohnerin, eine, die diesen Moloch aus Stahl, Glas, Holz und Kunststoff mit prägte - keine Außenseiterin. Maguire aber, der wie ein Häufchen Elend vor ihr stand, erweckte den Eindruck, als besäße er keinerlei Bindung zu irgend etwas.
»Was ist los mit dir? Was faselst du vom Sterben?« Sie kämpfte gegen das diffuse Verlangen an, ihn noch einmal in die Arme zu schließen und dadurch vielleicht den verflogenen Zauber zurückzuholen.
Ging es ihm wirklich so dreckig, wie er vorspiegelte, oder machte er ihr nur etwas vor? Was konnte ihn derart quälen?
»Du sollst gehen, mich in Ruhe lassen . Zur Hölle mit dir und deiner Brut!«
Sevens Zorn schäumte über. »Laß meine Familie aus dem Spiel! Idiot! Scher du dich zum Teufel! Häng dich auf, wenn du lebensmüde bist!«
Sie wandte sich ab. Erst an ihrem Ausbruch merkte sie, wie tief verletzt er sie wirklich hatte.
Er versuchte nicht einmal, sich zu rechtfertigen. Sie hörte, wie er sich entfernte. Seine Schritte auf dem taunassen Gras .
Durch Sevens Bewußtsein blitzte noch einmal eine Serie von Bil-dern: von der ersten Begegnung mit Ryder Maguire in Darren Seca-das Apartment angefangen, über die leidenschaftlichen Minuten auf dem Futon, bis hin zu dem Moment, da sie dem veränderten Ryder Maguire den Rücken gekehrt hatte.
Fleckig hatte das Gesicht, das sie aus dunkel umränderten Augen angestarrt hatte, ausgesehen. Fleckig und bleich, zu Tode erschöpft Das Gefühl, nein, die Überzeugung, daß mehr hinter ihrer gerade abrupt zu Ende gegangenen Affäre steckte als nur ein gewissenloser Schuft oder verkappter Frauenheld, senkte sich schwer und glühend wie kochendes Blei in ihren Verstand.
Sie dachte nicht über die Konsequenzen nach, als sie die unsichtbaren Wurzeln, die sie an die Stelle gefesselt hatten, kappte und loslief.
Hinter dem Mann her, der - das begriff sie plötzlich - nicht nur ihr Herz verletzt hatte, sondern fast mehr noch ihre . Eitelkeit.
Daß Liebe blind machte, war ihr bekannt. Aber wie sie sich überhaupt in einen abtörnenden Typen wie Ryder Maguire hatte verlieben können, war und blieb ihr ein Rätsel. Und während sie die Grünanlage hinter sich ließ und durch nächtliche Straßen irrte, wie von einem Magneten gezogen, wußte sie noch nichts von dem Schrecken, der sie am Ende dieser Nacht, im fahlen Morgengrau erwartete.
Ein Schrecken, der alles in den Schatten stellte, was sie in dieser Nacht bereits erlitten hatte .
*
Als steige das Licht aus der Erde und krieche nicht, wie sonst, über den Wall des östlichen Horizonts hinweg, leckte triste Helligkeit über die neogotische St. Marys Cathedral am Rande des Philipp Parks. Während Seven noch schnurgerade auf die Südfassade mit den imposanten Rosettenfenstern zulief, bog Ryder Maguire bereits um die Ecke der katholischen Kirche und verschwand aus ihrem Blickfeld.
Seven riskierte lieber, ihn aus den Augen zu verlieren, als von ihm entdeckt zu werden. Sie wollte nicht, daß er merkte, wie sie ihm nachlief. Sie hätte es nicht ertragen, wenn er falsche Schlüsse daraus gezogen hätte. Die Füße taten ihr weh, aber in den zwei, drei Stunden, die sie ihm schon an den Fersen hing, war ihr klar geworden, daß auch verletzte Eitelkeit nicht der wahre Grund war, der sie davon abhielt, die Sache auf sich beruhen zu lassen und einfach nur froh zu sein, daß es vorbei war.
Einerseits fühlte sie sich von Maguire regelrecht beschmutzt und mißbraucht (obwohl er ihr keinerlei körperliche Gewalt angetan hatte), andererseits lenkte sie viel mehr als ihr bewußter Verstand durch die Straßen der schläfrigen
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