Chimaeren
Hinterbliebenen zuließen. Mitunter versuchten Menschen an den Ruhestätten ihrer Nächsten an Hingabe nachzuholen, was sie zeitlebens versäumt oder ihnen verweigert hatten .
Seven blieb stehen, als sie ein schmatzendes Geräusch hörte. Es kam aus unmittelbarer Nähe.
Das Tier, das den Skink getötet hatte und nun die mitgenommene Beute verspeiste?
Seven ging dem Geräusch nach und kam zu einem Grab, das deutlich schlichter gehalten war als die umgebenden.
Du wirst niemandem fehlen, lautete die ungewöhnliche Inschrift. Darunter stand der Name des hier Begrabenen.
Und dieser Name .
Seven schrie auf.
Ryder Maguire?
Was für einen makabren Scherz hatte sich ihr Liebhaber dieser Nacht geleistet? Oder lag ein Namensvetter von ihm unter der Erde des St. Mary-Friedhofs?
Seven hielt vergeblich Ausschau nach Maguire.
Sie hörte nur ein trauriges Wimmern oder Winseln - das Schmatzen war erstorben -, das wie ein verzerrtes Echo ihres eigenen Aufschreis zu ihr herüberwehte.
Langsam umrundete sie das Grab.
Die Gestalt, die dahinter kauerte, den Rücken gegen das steinerne Mal gelehnt, war unverkennbar Ryder Maguire.
Seine Augen glommen fahl. Sein Atem wurde rasselnd, als er Se-ven neben sich auftauchen fühlte - denn sehen konnte er sie nicht. Die Augen, die in Sevens Richtung glotzten, waren trüb wie eine von innen beschlagene Fensterscheibe. Als wäre er innerhalb von Stunden vollständig erblindet.
»Ryder .«
Sein Gesicht war naß, als hätte er geweint.
Das aufsteigende Mitgefühl war diesmal stärker als die Abneigung, die sich in Seven angestaut hatte. Sie wollte auf Ryder Magui-re zugehen und - Da sah sie, was er in seiner Faust hielt, die neben ihm am Boden lag. Der aufflammende Ekel ließ sie zurückprallen.
»Wie - konntest du ...?«
Seine klauenartig verkrümme Hand hielt den Kopf des Geckos umspannt, und noch während Seven sprach, erreichte sie das häßliche Knirschen, mit dem Ryder Maguire den Schädel der Tierleiche zerquetschte. Maguire seufzte dazu beinahe wie erleichtert, bevor der eigene Kopf haltlos zur Seite sank. Erst in diesem Moment bemerkte Seven die krustigen Schatten um die Lippen des Mannes, der sich nicht mehr rührte.
Die Haltung, in der er gegen den Grabstein lehnte - die Augen weit offen und starr -, ließ kaum Zweifel, daß er gerade und zum Greifen nah . gestorben war.
Seven hielt noch ein paar Herzschläge lang an Ort und Stelle aus. Denn das Grauen lähmte sie. Zu einem klaren Gedanken war sie lange nicht mehr fähig. Doch unterbewußt registrierte sie den herbsüßen Duft, der in ihre Nase stieg, und auch die wie Schimmel fluoreszierende Patina, die sich wuchernd über Ryder Maguires Haut auszubreiten begann .
Irgendwann kehrten Sevens Lebensgeister zurück, und sie rannte wie von Sinnen zum Ausgang des Friedhofs. Als sie das verschlossene Tor erreichte, fehlte ihr vorübergehend die nötige Kraft, es neuer-lich zu erklettern. Sie zitterte wie Espenlaub.
Ryder Maguire, hatte auf dem Grab gestanden. Zufall? Kaum!
Und der Skink in Maguires Faust ... er war ausgesaugt worden wie ... wie von einem Vampir!
Plötzlich erinnerte sich Seven wieder, wo sie diesen süßverdorbenen Geruch schon einmal gerochen hatte - und wo sie Leichen gesehen hatte, die von einer ähnlichen Patina umhüllt gewesen waren.
Das noch tiefere Grauen dieser Erkenntnis mobilisierte alle verfügbaren Energien.
Seven entfloh dem Ort der Wahrheit -
- dem Alptraum aber, der sie von Stund' an nicht mehr losließ, nie mehr, konnte sie nicht entrinnen .
*
In einem anderen Teil der Stadt Paddington Street
Es war die Stunde nach der Schlacht. Die Stunde, nachdem Lilith die Rattenbrut, die im Keller ihres Geburtshauses zu etwas Abscheulichem und Tödlichem entartet war, ausgemerzt hatte. 1 Doch auch unter den Menschen hatte es Tote gegeben. Von denen, die das Haus unbefugt betreten hatten, war nur noch ein einziger am Leben: der Chefinspektor des Sydney Police Departments, Chad Holloway.
Die Kugel eines wahnsinnig gewordenen Polizisten hatte ihn schwer verletzt. Aber er würde durchkommen ... wenn sein Schutzengel auf Draht war. Lilith hoffte es. Sein Blut netzte noch immer ihre Kehle. Er hatte ihr aus großer Bedrängnis geholfen und ihren unbändigen Durst gestillt. Aus ihm hatte sie neue Kraft tanken und das Heft des Handelns wieder in die Hand nehmen können.
Nachdenklich sah sie dem Rettungswagen hinterher, der sich unter Einsatz der Lichtsirene im Slalom zwischen anderen, geparkten
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