Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)
Seelen womöglich auf Wanderschaft gingen. Er hatte sich an den Scherzen und Jagdgeschichten beteiligt, obwohl er darin nicht besonders gut war. Schon vor seinem Aufbruch in den Hohen Norden hatte er nicht richtig dazugehört und inzwischen kam er sich noch mehr wie ein Außenseiter vor. Die anderen schielten immer wieder zu ihm herüber und tuschelten miteinander. »Es heißt, er hat tagelang bei den Seelenessern gelebt!«, raunte ein Ebermädchen seiner Mutter zu.
»Pst!«, zischelte die. »Sonst hört er uns.«
Torak tat, als hätte er nichts gehört. Er hockte am Feuer auf einem Baumstumpf und sah zu, wie Fin-Kedinn Stücke von dem geschmorten Pferd schnitt und verteilte. Renn fischte naserümpfend ein Froschbein aus ihrer Schüssel und warf es heimlich einem schon wartenden Hund hin. Torak fühlte sich ausgeschlossen. Die anderen hatten ja keine Ahnung, was ihn umtrieb, und er wusste nicht, wie er es ihnen begreiflich machen sollte.
Einzig Inuktiluk schien zu ahnen, was ihn quälte. An ihrem letzten gemeinsamen Morgen hatte sich der Eisfuchsjäger nach ihm umgedreht und gesagt: »Du hast bei den Raben gute Freunde. Wenn du wieder im Wald bist, solltest du es nicht allzu eilig haben, sie wieder zu verlassen.«
Torak war erschrocken. Was wusste Inuktiluk? Oder was hatte er alles erraten?
Der Eisfuchsmann mit dem runden Gesicht hatte traurig gelächelt. »Bei dir muss ich immer an den schwarzen Eisbären denken, den es in tausend Wintern nur einmal gibt. Ob du je deinen Frieden findest, weiß ich nicht, aber du wirst unterwegs immer Freunde finden, und überall wird man deinen Namen kennen.« Dann hatte er beide Fäuste aufs Herz gelegt und sich verbeugt. »Gute Jagd, Torak. Möge dein Hüter stets mit dir laufen.«
Auf der Lichtung war man nach dem üppigen Mahl zum Singen und Geschichtenerzählen übergegangen. Auf einmal konnte Torak das gesellige Treiben nicht mehr ertragen. Als gerade niemand zu ihm herübersah, verzog er sich in seine Hütte.
Drinnen ließ er sich auf die Weidenmatte fallen, starrte in das Feuer vor dem Eingang und überlegte, was er tun sollte.
»Was ist mit dir?« Renns Stimme ließ ihn zusammenfahren.
Sie stand draußen am Feuer und sah so beklommen aus, wie ihm selbst zumute war. »Du willst doch nicht schon wieder weggehen?«
Torak zögerte. »Ich sage dir dann schon rechtzeitig Bescheid.«
Renn bückte sich nach einem Ast und stocherte damit in der Glut. »Wovor fürchtest du dich?«
»Wie meinst du das?«
»Du hast doch was, das spüre ich.«
Torak schwieg.
»Na schön.« Renn warf den Ast weg. »Lass mich raten. In der Höhle hattest du Blut auf der Stirn. Du meintest, es käme von etwas Schlimmem. Haben dich die Seelenesser gezwungen, an der Opferzeremonie teilzunehmen?«
Nicht schlecht geraten, wenn auch nicht ganz richtig. Trotzdem ging Torak erst einmal darauf ein. »Ja. Die Eule. Der erste der neun Jäger. Ich habe sie getötet.«
Renn erbleichte. Toraks Mut sank. Wie würde sie erst reagieren, wenn sie alles erfuhr?
Aber Renn fing sich rasch wieder und zuckte scheinbar unbekümmert die Achseln. »Ich befiedere meine Pfeile ja auch mit Eulenfedern. Natürlich töte ich die Eule dafür nicht, sondern halte nach einem toten Vogel Ausschau, oder jemand bringt mir einen.« Sie merkte selbst, dass sie zu schnell sprach. »Das kriegen wir schon wieder hin, Torak. Es gibt Mittel und Wege, dich davon zu reinigen.«
»Renn … «
»Du brauchst nicht fortzugehen«, sagte sie eindringlich. »Damit ist niemandem geholfen.«
Als er schwieg, fuhr sie fort: »Sprich wenigstens vorher mit Fin-Kedinn. Schwör mir, dass du nicht gehst, ehe du mit ihm gesprochen hast.«
Ihr Blick war so offen und erwartungsvoll, dass Torak ihr den Gefallen tat und den Schwur leistete.
Als sie gegangen war, stützte er das Kinn auf die Knie. Mit einem Mal fühlte er sich in die Eiswüste zurückversetzt, hatte wieder die Hände auf den Rücken gefesselt. Seshru strich ihm mit dem Finger über die Wange. »Mich wirst du nie mehr los«, raunte sie ihm ins Ohr. Dann hielt ihn Thiazzi mit kräftigem Griff fest und Seshru ritzte ihm mit einer Knochenahle die Brust und rieb die stinkende schwarze Farbe aus den Knochen der getöteten Jäger und dem Blut der Seelenesser in die Wunde.
»Dieses Zeichen«, raunte sie, »wirkt wie eine Harpunenspitze im Nacken der Robbe. Ein Ruck, und du musst ihm folgen, wie sehr du dich auch dagegen wehrst …«
Torak öffnete sein Wams und befühlte die verschorfte
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