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Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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saß. »Was blieb mir denn anderes übrig? Sollte ich etwa zulassen, dass die Seelenesser Wolf opfern? Dass die Dämonen den Wald heimsuchen?«
    »Du hättest umkehren und mich um Hilfe bitten sollen.«
    Torak wollte widersprechen, aber Fin-Kedinn brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen. »Du hast unglaubliches Glück gehabt, dass du noch am Leben bist, Torak. Außerdem ist dir der Weltgeist offenbar freundlich gesinnt. Aber das Glück ist flüchtig und der Weltgeist launisch. Bleib hier, bei meiner Sippe.«
    Torak schwieg trotzig.
    »Was für Spuren siehst du hier am Fluss?«
    Torak war verdutzt. »Wie?«
    »Du hast mich verstanden.«
    Der verwirrte Torak zählte alle Spuren auf. Die tiefen, verwischten Hufabdrücke eines Auerochsen. Ein Hirsch hatte ein paar Zweige angeknabbert. Wo sich ein paar Auerhühner aneinandergedrängt und gegenseitig gewärmt hatten, waren ein paar kaum zu erkennende Mulden im Schnee zurückgeblieben, jede mit einem Kothäufchen darin.
    Fin-Kedinn nickte. »Dein Vater war ein guter Lehrer. Er hat dir das Fährtenlesen beigebracht, weil es dich zugleich das Zuhören lehrt und damit du begreifst, was der Wald dir erzählt. Als er selbst noch ein junger Mann war, hat er auf niemanden gehört. Er war fest überzeugt, immer recht zu haben. Spurenlesen, Zuhören … das waren die Gaben deiner Mutter.« Fin-Kedinn machte eine Pause. »Indem dich dein Vater das Fährtenlesen lehrte, wollte er dich vielleicht davor bewahren, die gleichen Fehler zu machen, die er selbst begangen hat.«
    Torak nickte nachdenklich.
    »Wenn du jetzt fortgehst«, fuhr Fin-Kedinn fort, »musst du es mit drei ungeheuer mächtigen Schamanen aufnehmen. Das kann nur mit deinem Untergang enden.«
    Wolf hatte seine Mahlzeit beendet und beäugte schwanzwedelnd seine Namenseele im Fluss.
    Fin-Kedinn beobachtete ihn. »Junge Wölfe überschätzen sich manchmal. Ein junger Wolf glaubt vielleicht, dass er ganz allein einen Elch reißen kann, bedenkt aber nicht, dass ein einziger Huftritt ihn töten könnte. Hat er jedoch genug Verstand, sich zu gedulden, lebt er lange genug, um noch viele Elche zu reißen.« Der Rabenanführer wandte sich wieder Torak zu. »Ich befehle dir nicht, hierzubleiben. Ich bitte dich darum.«
    Torak schluckte. Fin-Kedinn hatte ihn noch nie um etwas gebeten.
    Der Rabenanführer lehnte sich zu ihm herüber und sagte mit ungewohnter Milde: »Ich merke doch, dass dich etwas bedrückt. Sag mir, was es ist.«
    Torak hätte sich ihm nur zu gern anvertraut, aber er konnte sich einfach nicht dazu durchringen. Darum sagte er bloß mit gespielter Zerknirschung: »Das Messer, das du mir geschenkt hast. Ich hab’s verloren. Es tut mir leid.«
    Fin-Kedinn merkte, dass ihm der Junge auswich, und seufzte. »Ich mache dir ein neues.« Er nahm seinen Stock und erhob sich mühsam. »Pass auf die Fische auf, ich gehe nach den Fallen schauen. Und Torak … Was dich auch bedrücken mag, du bist hier bei uns am besten aufgehoben, bei … bei deinen Freunden.«
    Torak blieb am Feuer sitzen. Die Tätowierung brannte auf seiner Brust. Mich wirst du nie mehr los …
    Wolf hatte im seichten Wasser eine neue Beute entdeckt, den von Vögeln zerpickten Kadaver eines jungen Rehbocks, der weiter flussaufwärts ertrunken war und nun träge vorbeitrieb. Wolf machte einen Satz und landete auf dem Bock. Das Tier ging unter und zog Wolf mit. Wolf tauchte wieder auf, schwamm zum Ufer zurück, schüttelte sich und unternahm noch einen Versuch. Wieder ging der Kadaver unter. Nach dem dritten fehlgeschlagenen Versuch hockte Wolf sich ans Ufer und winselte kläglich. Ein Rabe ließ sich auf dem Rehbock nieder und lachte ihn aus.
    Vielleicht hatte die Natternschamanin recht, dachte Torak. Vielleicht werde ich sie tatsächlich nie mehr los.
    Er setzte sich gerade hin. Aber sie wird mich auch nicht mehr los!
    Ihr wisst jetzt zwar, wer ich bin, wandte er sich in Gedanken an die Seelenesser, aber ich weiß genauso, wer ihr seid! Inzwischen kenne ich meine Gegner. Und ich bin nicht allein. Ich kann den Raben erzählen, was geschehen ist. Das mache ich auch, noch nicht heute, aber bald. Ich kann ihnen vertrauen. Fin-Kedinn ist ein weiser Mann.
    Der Wind fuhr in die Baumkrone über seinem Kopf. Torak wurde mit Schnee bestäubt und im selben Augenblick kam die Sonne heraus und verwandelte die fallenden Flocken in winzig kleine Regenbogensplitter.
    Wolf kam die Uferböschung hochgestürmt und verströmte den frischen, kalten Geruch des Flusses. Sie

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