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Chronik der Nähe

Chronik der Nähe

Titel: Chronik der Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Pehnt
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nicht nach ihr um, aber schon sagen sie du zueinander, schon
schleicht sie nachts mit in seine Wohnung, die eine Nasszelle hat und eine
Küchenzeile, die er nicht benutzt und sie auch nicht, Kochen macht heiß und
hungrig, und hinterher isst man widerwillig die Reste aus den Schüsseln,
bekommt dicke Oberschenkel, sitzt verschwitzt auf dem Boden und kehrt die
Krümel auf. Das muss nicht sein, sie gehen essen und trinken griechischen Wein
und reden über die Möglichkeiten.
    Heiraten schon. Kinder, die will Annie nicht, schon gar keine
Töchter, nicht noch mehr davon. Aber wieso soll es schöner sein, die Finger
über die Tasten der Schreibmaschine springen zu lassen als über die Rippen
eines rundlichen Babys. Wieso sollen sie nur zu zweit an dem großen runden
Esstisch sitzen, stille Abende mit Büchern auf den Knien oder immerzu ins Kino,
sie sind doch jung und kräftig und können aus ihren Körpern neue Körper machen,
was spricht denn dagegen. Alles spricht dafür, erklärt der Richtige, zu einer
richtigen Familie gehören eben auch Kinder, wir wollen doch eine richtige
Familie.
    Â»Diese Stadt ist nichts für Kinder«, versucht es Annie, »wo sollen
sie denn hier herumrennen und Blumen pflücken.«
    Â»Sie müssen keine Blumen pflücken, um eine glückliche Kindheit zu
haben«, sagt der Richtige, »mit einer wunderbaren Mutter, die immer für sie da
ist.«
    Â»Meine Mutter war nie da«, sagt Annie automatisch.
    Eben. Jetzt sieht der Richtige den Sieg in Reichweite. »Sie war nie
da, aber du kannst immer da sein, deine Kinder müssen nicht allein weinen,
keine Bomben, keine Onkel«, er kennt alle Geschichten auswendig und führt sie
nun gegen Annie ins Feld: »Du kannst es anders machen, wenn du nur willst.« Das will Annie schon, sie spürt auch, dass der Richtige
sie dann noch mehr lieben wird, wenn sie Mutter wird.
    Heiraten schon. Und wenn das Baby nicht weint, wird sie es kriegen.
Sie wird es niemals abends allein lassen, sie wird es auch nicht tagsüber
allein lassen, sie wird nicht mehr arbeiten, es bekommt neue Kleider, alles neu
und frisch gekauft, ein eigenes Zimmer mit einer klingenden Aufziehsonne,
Taschengeld, damit es sich alles kaufen kann, nur schreien darf es auf gar
keinen Fall. Und keine Haustiere. Keine Hühner. Und kein Urlaub im Schwarzwald.
    Â»Nein«, ruft der Richtige, der auch diese Geschichte kennt, »wir
fahren, wohin du willst, mit Kindern am besten ans Meer, Sand, ja, und
Schaufeln, Burgen bauen, du weißt schon.« Welche
Kinder, denkt Annie, es gibt noch nicht mal eines, sie müssen überhaupt erst
heiraten und dann eins machen.
    Das Heiraten geht schnell und schön, obwohl Mutter weinerlich ist
und im Standesamt zu schnell atmet. Der Standesbeamte wirft ihr besorgte Blicke
zu, während er die Formulare ausfüllt und dem Paar ernste Worte mit auf den Weg
gibt, und als sie das Trauzimmer verlassen, hält er Mutters Hand lange fest und
sagt leise, »die Frau Mutter sollte sich heute schonen, dieser Tag ist nicht
einfach.« Er ist aber doch einfach, Annie und der Richtige sitzen am Kopfende
einer schönen Tafel in ihrem griechischen Restaurant, Kollegen sind da und
Ingrid aus Annies Studienzeit. Nur Onkel Hermann musste zu Hause bleiben und
sitzt dort neben seiner Sauerstoffflasche und denkt an sie, ganz bestimmt. Nach
dem Essen, in dem sie misstrauisch herumgabelt, steht Mutter auf und überreicht
Annie und dem Richtigen das einzig richtige Hochzeitsgeschenk: Vaters
Kopfweiden. Annie schließt die Augen, es ist ihr größter Wunsch gewesen, das
dunkel gegilbte Bild mit den schwerbezopften Bäumen am schwarzen Rheinarm, der
sie umarmt an diesem Tag, so wie der Richtige fest den Arm um sie gelegt hat
und von jetzt an auf sie aufpasst, Mutter umarmen, Mutter danken für die Freude.
Aber da atmet Mutter auf einmal noch lauter als im Standesamt und schneller,
ein Hecheln fast schon, sie breitet die Arme aus und sinkt auf ihren Stuhl,
stöhnt, sie müsse sich gleich hinlegen, oder schlimmer noch, sie wisse gar
nicht, wie ihr sei, es sei einfach zu viel, ein schwerer Tag, wenn die Tochter
einen verlässt. Annie stellt das Bild vorsichtig gegen die Wand, freuen wird
sie sich später, überlegen, wo sie es aufhängen können, aber später, jetzt muss
sie sich schnell erinnern, was zu tun ist auf Mutters Bühne. Da umfasst der
Richtige Mutter kräftig,

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