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Chronik der Nähe

Chronik der Nähe

Titel: Chronik der Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Pehnt
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sie die Mütter aufgeschnitten, damit die Kinder
leichter auf die Welt kamen.
    â€“ Was hat das mit dem Schwimmring zu tun.
    â€“ Na, ich konnte auf der Wunde nicht sitzen, und verheilt ist sie
auch nicht, und man kann ja nicht drei Monate nur stehen, oder.
    â€“ Das machen sie heute nicht mehr.
    â€“ Na, sei froh, dass du heute lebst.
    Tagelang weigerst du dich, nach draußen zu kommen, geh du mal,
schickst du mich, schau dich in der Gegend um, du kannst mir ja erzählen, wie
es aussieht. Allein gehe ich durch den Ort, sitze auf Bänken, bis ich von unten
durchfeuchte, und überlege mir Fragen.
    â€“ Dieser bitterkalte Wind, dafür bin ich nicht gemacht, da bleibe
ich lieber schön im Warmen.
    Aber abends in unserem Palastzimmer sehe ich deine weiche
Bauchwölbung, an dir ist mehr dran, als du denkst, und ein bisschen Wind würde
dich nicht wegwehen. Ich schaue unauffällig hin, während ich mit einer
Zeitschrift auf dem Sofa throne, links und rechts umrahmt von Kissen,
Nackenrollen und geschmackvollen Überwürfen. Auch Oberarme hast du, die etwas
herabhängen, Oberschenkel mit zarter Maserung: noch nie gesehen, sonst hast du
einfach immer zu viel an. Das Licht ist vanillefarben, die Sicht gut.
    â€“ Warum hast du eigentlich immer Rollkragenpullis an.
    â€“ Frag Mutter, ich meine, Oma.
    â€“ Kann ich ja nicht mehr.
    â€“ Ich hab einen Schwanenhals, das sieht nicht gut aus.
    â€“ Hat Oma das gesagt.
    â€“ Das ist so.
    Du schiebst den Unterkiefer vor, streckst das Kinn in die Luft und
reckst deinen Hals in die Länge: Siehst du.
    â€“ Ja, Mama, wenn ich das mache, habe ich auch einen Schwanenhals.
    Zum Beweis verdrehe ich meinen Hals, so weit es geht, und rolle mit
den Augen: sterbender Schwan, bis du lachst, und dann, erwärmt und belohnt von
deinem Lachen, sage ich noch, dafür hatte die Oma gar keinen.
    Das reicht: mehr nicht, verbotener Spaß mit den Toten, aber stimmen
tut es doch, verdammt noch mal, dick, wie sie war.
    Ich kann dich zu einem Strandspaziergang überreden, der scharfe
kühle Wind hat den Fischgeruch vertrieben, am Meer darf es ruhig nach Fisch
riechen, es ist alles in Ordnung, und die Algen sammelt jemand ein, den sie
dafür bezahlen, er hat eine Müllzange, mit der er die glitschigen Büschel
zunächst umkreist, dann mit einer kämpferischen Bewegung aufspießt, als könnten
sie sich wehren. Langsam gehen wir über den festen, nassen Sand ohne Muscheln.
Möwen lassen sich durch die Luft schleudern, und ich hake mich bei dir unter
und merke, dass du am Meer nicht schlurfst.
    â€“ Gut, dass ich nicht mehr schreie, sage ich plötzlich.
    Du bleibst stehen und starrst mich an: wieder das Falsche oder nicht
das Richtige, warum kann ich nicht den Mund halten, wieso fange ich mit dem
Geschrei an, ich als Baby, immer geschrien, ich kann es auswendig. Ich trete
den Sand zu einem kleinen Haufen, während der salzige Wind mein Haar lockt,
warum sagst du es nicht: Immer geschrien und Schlafentzug, das muss mal gesagt
sein, ist Folter.
    Aber mit gerunzelter Stirn stehst du immer noch still. Dann schaust
du um dich, als wäre dir etwas klar geworden.
    â€“ Ja, sagst du, dass du nicht mehr schreist, aber manchmal schreist
du doch.
    â€“ Ich doch nicht, sage ich, das ist das
Kind, mein Kind, du bringst uns durcheinander.
    Da ziehst du dir mit einem Griff die Kapuze über den Kopf, na kein
Wunder, sagst du, wir sind einfach zu viele Mütter in dieser Familie, das hält
ja kein Schwein aus. Zusammen stapfen wir weiter, mein Haar ein störrisches
Gewirr, schwer von Feuchtigkeit, es gefällt mir, struppig zu sein. Ich brauche
keine Perücke, aber einen neuen Mantel, dieser ist für den Winter zu grau, und
das rufe ich dir zu, vielleicht kann ich hier einen Mantel finden.
    â€“ Wie kommst du denn jetzt darauf.
    â€“ Einfach so, rufe ich, weil es so kalt ist, weil ich einfach einen
brauche, einen Mantel als Andenken: Weil ich gern mit dir zusammen hier bin,
rufe ich nicht, aber denke ich so laut, dass du es vielleicht hören kannst,
denn heute ist ein guter Tag.
    Später gehen wir nach unten in die Sauna, ich liege auf der obersten
Bank und lasse mich langsam austrocknen, stöhne leise unter der eisigen Brause,
aber das machst du nicht mit, du liegst säuberlich eingewickelt in deinem
Liegestuhl, zurückgeklappt, nur die Zehen schauen heraus wie
Marzipankartoffeln. Dampfend rücke ich meinen

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