Chronik eines angekuendigten Todes
bekreuzigten sich die Brüder Vicario.
Clotilde Armenta erzählte mir, sie hätte auch die letzte Hoffnung verloren, als der Pfarrer an ihrem Laden einfach vorbeiging. »Ich dachte, er habe meine Botschaft nicht erhalten«, sagte sie. Dennoch gestand Pater Amador mir viele Jahre später, als er sich aus der Welt in das düstere Asyl von Calafell zurückgezogen hatte, dass er in der Tat Clotilde Armentas Botschaft und andere noch dringlichere erhalten hatte, während er sich für seinen Gang zum Hafen vorbereitete. »Ich wusste wirklich nicht, was tun«, sagte er zu mir. »Zuerst dachte ich, es sei eine Angelegenheit, die nicht mich, sondern die Zivilbehörden anginge, doch dann beschloss ich, Plácida Linero im Vorbeigehen ein Wort zu sagen.« Als er dann aber über den Platz schritt, hatte er es vollständig vergessen. »Sie müssen verstehen«, sagte er zu mir, »an jenem unglückseligen Tag kam der Bischof.« Im Augenblick des Verbrechens war er dann so verzweifelt und so empört über sich selbst gewesen, dass ihm nichts anderes einfiel, als Sturm läuten zu lassen.
Mein Bruder Luis Enrique betrat das Haus durch die Küchentür, die meine Mutter nie verriegelte, damit mein Vater uns nicht hereinkommen hörte. Vor dem Zubettgehen ging er ins Bad, schlief aber auf dem Klosett ein, und als mein Bruder Jaime aufstand, um in die Schule zu gehen, lag er mit dem Gesicht aufden Fliesen und sang im Schlaf. Meine Schwester, die Nonne, die nicht zum Empfang des Bischofs gehen wollte, weil sie einen hochprozentigen Kater hatte, schaffte es nicht, ihn zu wecken. »Es schlug gerade fünf, als ich ins Bad ging«, sagte sie zu mir. Später gelang es meiner Schwester Margot, die sich, bevor sie zum Hafen ging, duschen wollte, ihn mühsam ins Schlafzimmer zu schleifen. Von jenseits des Schlafs hörte er, ohne aufzuwachen, das erste Heulen des Bischofsschiffs. Dann schlief er, vom Hochzeitsgelage erschöpft, tief weiter, bis meine Schwester, die Nonne, die eilends versuchte, ihr Ordenskleid anzulegen, ins Schlafzimmer trat und ihn mit dem Wahnsinnsschrei weckte:
»Sie haben Santiago Nasar getötet!«
Kapitel 4
Die von den Messern angerichteten Verwüstungen waren nur ein Vorspiel der gnadenlosen Autopsie, zu deren Durchführung sich Pater Carmen Amador in Abwesenheit von Doktor Dionisio Iguarán verpflichtet sah. »Es war, als hätten wir ihn nach seinem Tode noch einmal getötet«, sagte der alte Pfarrer in seinem Alterssitz Calafell zu mir. »Aber es war eine Anordnung des Bürgermeisters, und die Anordnungen dieses Barbaren, mochten sie auch noch so blöde sein, mussten ausgeführt werden.« Das war nicht ganz gerecht. In der Verwirrung jenes verrückten Montags hatte Oberst Aponte mit dem Provinzgouverneur dringende Telegramme gewechselt, und dieser hatte ihn ermächtigt, die Vorermittlungen zu führen, bis ein Untersuchungsrichter geschickt würde. Der Bürgermeister war vorher Offizier beim Heer gewesen, ohne jegliche Erfahrung in gerichtlichen Angelegenheiten und viel zu eitel, um sich bei einem Fachmann zu erkundigen, wie er den Fall angehen müsse. Als Erstes machte ihm die Autopsie Sorgen. Cristo Bedoya, der Medizin studierte, verwies auf seine enge Freundschaft mit Santiago Nasar und wurde von der Aufgabe entbunden. Der Bürgermeister dachte, man könne die Leiche bis zu Doktor Dionisio Iguaráns Rückkehr gekühlt halten, aber er fand keinen Kühlschrank in Menschengröße, denn der einzige passende auf dem Markt war außer Betrieb. Der Leichnam war für die Öffentlichkeit auf einer schmalen Eisenpritschemitten im Wohnzimmer aufgebahrt, dieweil der Sarg eines Reichen für ihn geschreinert wurde. Man hatte die Ventilatoren aus den Schlafzimmern und einigen Nachbarhäusern herbeigeschafft, doch so viele Menschen verlangten, ihn zu sehen, dass die Möbel fortgeschoben und die Käfige und Farntöpfe von den Wänden abgehängt werden mussten, die Hitze aber dennoch unerträglich wurde. Außerdem erhöhten die durch den Geruch des Todes aufgestörten Hunde noch die Unruhe. Sie hatten nicht aufgehört zu jaulen, seit ich das Haus betreten hatte. Da rang Santiago Nasar in der Küche noch mit dem Tode, während Divina Flor die Tiere schreiend und schluchzend mit einer Holzlatte in Schach zu halten suchte.
»Hilf mir«, schrie sie mir zu, »die wollen sein Gedärm fressen.«
Wir sperrten sie im Stall ein. Plácida Linero ordnete später an, die Hunde sollten bis nach der Beerdigung an einen entlegenen Ort gebracht werden.
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