Chronik eines angekuendigten Todes
Blick der Übernächtigten das erloschene Fenster des gegenüberliegenden Hauses, während vorgebliche Kunden ohne Bedarf Milch kauften und nach nicht vorhandenen Nahrungsmitteln fragten, nur um zu sehen, ob es wahr sei, dass die beiden auf Santiago Nasar warteten, um ihn zu töten.
Die Brüder Vicario sollten besagtes Fenster nicht aufleuchten sehen. Santiago Nasar betrat das Haus um vier Uhr zwanzig, brauchte aber kein Licht zu machen, um ins Schlafzimmer zu gelangen, weil die Treppenhauslampe die Nacht über brannte. Er warf sich im Dunkeln angezogen aufs Bett, denn ihm blieb nur eine Stunde zum Schlafen, und so fand ihn Victoria Guzmán, als sie hinaufging, um ihn für den Empfangdes Bischofs zu wecken. Wir waren in María Alejandrina Cervantes’ Haus zusammen gewesen, bis diese nach drei Uhr selber die Musikanten fortschickte und im Patio die Lichter der Tanzfläche löschte, damit ihre Lustmulattinnen sich allein zur Ruhe legen konnten. Seit drei Tagen und Nächten hatten sie ohne Pause gearbeitet, zuerst, um heimlich die Ehrengäste zu bedienen, und dann, ohne Mogelei und bei offenen Türen, diejenigen von uns, die von der Hochzeitsfeier noch nicht genug hatten. María Alejandrina Cervantes, von der wir sagten, sie werde sterben, wenn sie sich nur einmal schlafen legte, war die eleganteste und zärtlichste Frau, die ich je gekannt habe, und dazu die gefälligste im Bett, aber auch die strengste. Sie war hier geboren und aufgewachsen, und hier lebte sie in einem Haus mit offenen Türen, mehreren Mietzimmern und im Patio einem riesigen Tanzboden mit Lampions, die in den chinesischen Basaren von Paramaribo erstanden worden waren. Sie war es, die der Jungfräulichkeit meiner Generation ein Ende bereitete. Sie lehrte uns viel mehr, als wir erlernen sollten, lehrte uns aber vor allem, dass es im Leben keinen traurigeren Ort gibt als ein leeres Bett. Santiago Nasar verlor den Verstand, als er sie zum ersten Mal sah. Ich hatte ihn gewarnt: »Wagt sich ein Falke an die streitbare Rohrdommel, droht ihm Gefahr.« Aber er hörte nicht auf mich, betört vom schimärischen Säuseln der María Alejandrina Cervantes. Sie war seine hemmungslose Leidenschaft, seine Lehrmeisterin der Tränen, als er fünfzehn war, bis Ibrahim Nasar ihn mit dem Riemen aus ihrem Bett peitschte und ihn über ein Jahr im »Göttlichen Antlitz« einsperrte. Seit jener Zeit verbandsie eine ernsthafte, nicht vom Chaos der Liebe beschwerte Zuneigung, und sie achtete ihn so sehr, dass sie sich nie mehr mit jemandem ins Bett legte, solange er anwesend war. In jenen letzten Ferien pflegte sie uns unter dem wenig überzeugenden Vorwand, sie sei müde, früh fortzuschicken, ließ aber die Tür unverriegelt und ein Licht im Flur brennen, damit ich heimlich zurückkehren konnte.
Santiago Nasar besaß eine fast magische Begabung für Verkleidungen, und sein liebster Zeitvertreib war, die Identität der Mulattinnen zu vertauschen. Er plünderte die Kleiderschränke der einen, um die anderen zu verkleiden, so dass schließlich alle sich anders vorkamen und jenen glichen, die sie nicht waren. Einmal sah sich eine von ihnen so genau in einer anderen kopiert, dass sie einen Weinkrampf bekam. »Ich meinte, ich träte aus dem Spiegel«, sagte sie. In jener Nacht aber erlaubte María Alejandrina Cervantes nicht, dass Santiago Nasar sich ein letztes Mal mit seinen Verwandlungskünsten vergnügte, und hielt ihn unter so läppischen Vorwänden davon ab, dass der üble Nachgeschmack dieser Erinnerung ihr Leben veränderte. So nahmen wir denn die Musikanten zu einem Serenadenrundgang mit und feierten das Fest alleine weiter, während die Zwillinge Vicario auf Santiago Nasar warteten, um ihn zu töten. Gerade er hatte dann gegen vier Uhr den Einfall, wir sollten zum Hügel des Witwers de Xius hinaufsteigen, um den Neuvermählten ein Ständchen zu bringen.
Wir sangen nicht nur vor den Fenstern, sondern ließen auch im Garten Raketen steigen und Frösche knallen, nahmen jedoch kein Lebenszeichen im Umkreisdes Landhauses wahr. Wir kamen nicht auf den Gedanken, dass niemand da sein könnte, schon weil das neue Automobil vor der Haustür stand, immer noch mit heruntergeklapptem Verdeck, mit den Atlasbändern und den wächsernen Orangenblütensträußchen, mit denen es für das Fest geschmückt worden war. Mein Bruder Luis Enrique, der damals wie ein Berufsmusiker Gitarre spielte, stimmte zu Ehren der Neuvermählten aus dem Stegreif ein Lied über eheliche Irrungen an. Bisher
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