Mayra und der Prinz von Terrestra (German Edition)
Kapitel 2
Ihre Mutter bestand darauf, dass die Familie immer gemeinsam zu Abend aß. Meistens war das auch der Fall. Mayras Vater Sternon, einer der universumsweit gefragtesten Ingenieure für Sternenschiffsantriebe, würde gleich eintreffen. Mayra saß an der Theke an der Essensausgabe, das Kinn auf ihre rechte Hand gestützt, und sah ihrer Mutter zu, die das Essen vorbereitete. Konzentriert lud Senatorin Cassiopeia am Kochgerät die neuesten Daten über gesunde Ernährung hoch, und Mayra war sich sicher, dass das Ergebnis auch diesmal ein Brei von undefinierbarer Farbe sein würde, der ihr nicht schmeckte, aber – nach Cassiopeias Aussage – enorm gut für sie war.
Mayras Mutter war eine hochgewachsene Frau mit goldblonden Haaren und leuchtend blauen Augen, die eine Ausstrahlung vor sich her trug, die jeden spüren ließ, dass sie erwartete, dass jeder tat, was sie wollte. Es kam selten vor, dass ihre Erwartung enttäuscht wurde. Sie hatte zu Mayras kleinem Ausflug an den See nichts gesagt. Für Mayra hieß das, dass die Senatorin nichts davon wusste. Der Code zum Verlassen der Schule, den ihre Mutter ihr vor Monaten für einen Besuch im Senat gegeben hatte, war also immer noch gültig.
Mit einem leichten Zischen öffnete sich die Tür und ihr Vater kam herein. Er trug den leicht abwesenden Gesichtsausdruck, den Mayra von ihm gewöhnt war. Trotz Haarwurzelbehandlung wurden seine braunen Haare langsam schütter. Das beschäftigte Cassiopeia mehr als ihren Mann, und eines ihrer vielen Projekte war denn auch die ehrenamtliche Unterstützung eines Antihaarausfallprogramms.
Der Koch, eine komplexe, in die Wand integrierte Maschine, warf das heutige Abendessen aus. Während ihre Mutter über ihren Arbeitstag referierte und sich darüber aufregte, dass Senatorin Eventua auch diesmal gegen ihren Antrag auf Verbot jeglicher Staubpartikel in der Atemluft in Wohngebieten gestimmt hatte, löffelten Mayra und Sternon still ihren Brei. Mayra war sich nie sicher, ob ihr Vater Cassiopeia überhaupt zuhörte. Sie selbst nervte der allabendliche Monolog ihrer Mutter über Themen, von denen sie keine Ahnung hatte und für die sie sich nicht interessierte. Mayra vermutete, dass Cassiopeia auch deswegen so ausführlich vom Alltag einer Diplomatin berichtete, weil sie hoffte, dass Mayra später in den interstellaren Dienst eintreten würde.
„Nächste Woche ist der Empfang des Senats für die Bierbrauer. Wir müssen dir dafür noch ein neues Kleid besorgen.“
Mayra stöhnte auf. „Aber ich war doch erst letzten Monat auf dem Ball der Repräsentanten der Industrieplaneten!“
Cassiopeia lächelte milde. „Auf dem Empfang wirst du die führenden Frauen und Männer dieses wichtigen Industriezweigs kennenlernen und deine Bekanntschaft mit den politischen Führern vertiefen. Du bist 15 Jahre alt. Es ist Zeit, dass du dir langsam dein Netzwerk aufbaust. Ohne Kontakte wird es für dich später sehr schwierig im Leben!“
Wenn ihre Mutter in dem „Ich habe Recht und widersprich mir nicht“-Modus sprach, fühlte Mayra sich chancenlos. Hilfe suchend blickte sie ihren Vater an, doch der lächelte nur und wandte sich wieder seinem Brei zu. Ohne viel Hoffnung versuchte sie es trotzdem: „Aber Mama, du weißt doch, wie sehr ich so Veranstaltungen hasse. Was soll ich denn mit den Leuten reden?“
Cassiopeia strahlte ihre Tochter an: „Du wirst es lernen!“ Damit war für sie das Thema erledigt.
Mayra ging in ihr Zimmer und rief Fredi per Ganzkörperübertragung an. Fredi war ihr bester Freund. Eigentlich war er ihr einziger Freund. Bei Fredi konnte man sich darauf verlassen, dass er sie auch mochte, wenn ihr Avatar in der Spielwelt nicht über die neuesten modischen und meist sehr teuren Gadgets verfügte. Mit Fredi führte sie Unterhaltungen über ihre Wünsche und Träume. Bei ihm konnte sie auch sicher sein, dass er sie verstand, weil sie nicht auf einen festlichen Empfang wollte, selbst wenn die Leute noch so wichtig waren.
Fredis Projektionsbild erschien vor ihr. Er strahlte sie an. „Hey, ich habe mit Cynthie geflirtet. Ich hab diesen neuen, total coolen Avatar programmiert, mit Haaren, die sich je nach Stimmung färben. Der kann drei extra Hände ausfahren, wenn er sie braucht, und Cynthie hat fast zehn Minuten mit ihm geredet!“
„Morgen in der Schule wirst du diesen Chat sicher fortsetzen!“
Fredi grinste. „Mayra, du weißt es, ich weiß es: Cynthie redet nicht mit mir – und sie wird ihren Avatar nicht mit
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