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Chronik eines angekuendigten Todes

Chronik eines angekuendigten Todes

Titel: Chronik eines angekuendigten Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Zuckerrohrschnaps gereicht, um den Kater der vergangenen Nacht zu ertränken. Die riesige Küche mit der zischelnden Glut und den auf ihren Stangen schlafenden Hühnern atmete verhalten. Santiago Nasar kaute ein zweites Aspirin und setzte sich, um gemächlich seine Tasse Kaffee zu schlürfen, dabei vor sich hin sinnierend, ohne den Blick von den beiden Frauen zu wenden, die am Herd die Kaninchen ausnahmen. Trotz ihres Alters war Victoria Guzmán gut beinander. Die noch ein wenig ungebärdige Kleine schien am Drang ihrer Drüsen zu ersticken. SantiagoNasar packte sie am Handgelenk, als sie ihm die leere Tasse abnehmen wollte.
    »Du bist schon so weit, zugeritten zu werden«, sagte er.
    Victoria Guzmán zeigte ihm das blutige Messer.
    »Lass sie los, Weißer«, befahl sie entschieden. »Von diesem Wasser trinkst du nicht, solange ich lebe.«
    Sie selbst war in der Blüte ihrer Jugend von Ibrahim Nasar verführt worden. Mehrere Jahre hindurch hatte er sie heimlich in den Ställen der Hacienda geliebt und sie dann als Dienstmädchen in sein Haus aufgenommen, als seine Zuneigung erloschen war. Divina Flor, Tochter eines Ehemanns aus jüngerer Zeit, wusste sich für Santiago Nasars heimliches Bett bestimmt, und dieser Gedanke versetzte sie vorzeitig in Unruhe. »Ein Mann wie dieser ist nie wieder auf die Welt gekommen«, sagte sie zu mir, fett und welk, umringt von den Kindern aus anderen Liebschaften. »Er war genau wie sein Vater«, erwiderte ihr Victoria Guzmán. »Ein Scheißkerl.« Und doch konnte sie sich eines Schauders des Grauens nicht erwehren, als sie sich daran erinnerte, wie entsetzt Santiago Nasar gewesen war, als sie einem Kaninchen die gesamten Innereien herausriss und die dampfenden Därme den Hunden vorwarf.
    »Sei nicht so barbarisch«, sagte er. »Stell dir vor, das wäre ein Menschenwesen.«
    Victoria Guzmán hatte fast zwanzig Jahre gebraucht, um zu begreifen, weshalb ein Mann, der gewohnt war, wehrlose Tiere zu töten, plötzlich solches Entsetzen empfinden konnte. »Heiliger Gott«, rief sie erschrocken aus, »das alles war also eine Offenbarung!«Doch am Morgen des Verbrechens hatte sich bei ihr so viel Wut angesammelt, dass sie die Hunde weiter mit den Eingeweiden der anderen Kaninchen fütterte, nur um Santiago Nasar sein Frühstück zu vergällen. Das war der Stand der Dinge, als das ganze Dorf vom markerschütternden Tuten des Dampfers erwachte, mit dem der Bischof ankam.
    Das Haus war ein alter zweistöckiger Schuppen aus rohen Bretterwänden mit einem Satteldach aus Weißblech, von dem aus die Geier auf Hafenabfälle lauerten. Er war in den Zeiten erbaut worden, als der Fluss so dienstwillig war, dass viele Seebarkassen und selbst einige Hochseeschiffe sich durch die sumpfigen Gewässer der Mündung hier heraufwagten. Als Ibrahim Nasar mit den letzten Arabern gegen Ende der Bürgerkriege eintraf, liefen wegen der Veränderungen des Flusslaufs keine Seeschiffe mehr ein, und der Schuppen wurde nicht mehr genutzt. Ibrahim Nasar kaufte ihn zu einem Spottpreis, um einen Importladen aufzumachen, den er aber nie aufmachte, und erst als er ans Heiraten dachte, baute er den Schuppen zu einem Wohnhaus um. Aus dem Erdgeschoss machte er einen Wohnraum, der für alle möglichen Zwecke diente, und baute im hinteren Teil einen Pferdestall für vier Tiere ein, Dienstbotenkammern und eine große Küche mit Fenstern zum Hafen, durch die zu allen Stunden der Pestgeruch des Wassers drang. Unberührt ließ er im Wohnraum nur die aus irgendeinem Schiffbruch gerettete Wendeltreppe. Das Obergeschoss, in dem die Zollbüros gewesen waren, teilte er in zwei geräumige Schlafzimmer und fünf Kammern für die vielen Kinder auf, die er zu zeugen gedachte, und auf dieMandelbäume der Plaza hinaus baute er einen Holzbalkon, auf den Plácida Linero sich an Märznachmittagen setzte, um sich über ihre Einsamkeit hinwegzutrösten. Ibrahim Nasar behielt den Haupteingang an der Frontseite bei und setzte zwei bodentiefe Fenster mit gedrechselten Gitterstäben ein. Er beließ auch die Hintertür, machte sie nur etwas höher, um hindurchreiten zu können, und behielt einen Teil der alten Mole in Gebrauch. Dieser hintere Eingang wurde am häufigsten benutzt, nicht nur, weil er der natürliche Zugang zu den Stallungen und der Küche war, sondern weil er, ohne den Umweg über die Plaza, auf die Straße zum neuen Hafen führte. Die vordere Haustür blieb außer bei festlichen Anlässen geschlossen und verriegelt. Dennoch warteten dort

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