Chroniken der Jägerin 3
1
E s war mein Geburtstag, der Jahrestag des Mordes an meiner Mutter. Deshalb ließ ich es mir nicht nehmen, auf dem Weg zur Party anzuhalten und einen Zombie zu erledigen. So hielt ich es jedes Jahr. Es war mein ganz persönliches Geheimnis. Nur Zee und die Jungs wussten davon. Es war unser Geschenk füreinander.
Die Sonne war vor knapp einer Stunde untergegangen, aber wir waren hier schließlich in Seattle! Der Himmel sah so schwarz aus, als wäre es schon Mitternacht, und der Regen prasselte auf die Windschutzscheibe, als würde jeder einzelne Tropfen versuchen, das Glas zu zerschmettern. Im Radio lief Cyndi Lauper, ganz leise, denn ich wollte Dek und Mal mitsingen hören. True Colors . Das war eins der Lieblingslieder meiner Mutter gewesen.
Meine kleinen Dämonen hatten sich schwer und warm um meine Schultern gewickelt. Ich spürte ihren heißen Atem an meinen Ohren, während sie den Song mit ihren hohen, süßen Stimmen trällerten. Aaz und Rohw saßen ungewöhnlich still auf dem Rücksitz, ließen ihre kleinen Beinchen über dem Boden baumeln und pressten halb aufgefressene Teddybären an ihre geschuppte, muskulöse Brust.
Zee hockte auf dem Beifahrersitz. Wie messerscharfe Dornen
standen seine schwarzen Haare von dem kantigen Schädel ab, während seine Augen rot funkelten. Er ließ seine Krallen spielen, rein und raus, rein und wieder raus, und dann fuhr er sich alle paar Minuten damit in sanfter Erregung über die Arme.
Obwohl er unmittelbar neben mir saß, war er nur schwer zu erkennen, ebenso wie die anderen. Entweder verschmolzen sie mit den Schatten, oder sie verschwanden vollkommen darin. Das einzig Sichtbare waren ihre silbrig leuchtenden Venen und die feurigen Augen.
»Links«, schnarrte Zee. Ich zweifelte nie an seinen Instinkten und bog an der Kreuzung ab. Wir befanden uns am südlichen Ende des Lake Union Sees in der Nähe des Parks. Ich hielt auf dem Parkplatz in der Nähe des Armory an. Noch bevor ich den Motor abgestellt hatte, waren die Jungs bereits ausgestiegen und verschwanden schon wie Geister in den Schatten. Nur Dek und Mal blieben bei mir. Schwer und beruhigend schlangen sie sich um meinen Hals. Meine kleinen Leibwächter.
Der Platzregen nahm einfach kein Ende, aber das bereitete mir weniger Kopfzerbrechen. Schlechte Sicht war jetzt nämlich genau das Richtige.
Ich musste nur zehn Minuten warten, bis Zees Kopf unter dem Armaturenbrett auftauchte. Er brauchte kein Wort zu sagen. Ich stieg aus und zog den Kopf ein, als der Regen eiskalt auf mich niederprasselte. Meine Handschuhe hatte ich schon abgestreift und warf nur einen kurzen Blick auf die Rüstung, die meine rechte Hand umgab: Es war organisches Metall, das aber wie Quecksilber schimmerte und in die Haut meiner Finger und meines Handgelenks eingebettet war. Fäden aus Quecksilber überzogen die Oberfläche meiner blassen Hand.
Das war Zauberei. Oder jedenfalls etwas sehr, sehr Ähnliches. Aber das spielte keine Rolle, schon gar nicht heute Nacht.
Zee sprang auf allen vieren voran. Wir liefen unter Bäumen hindurch, die in den Beton eingepflanzt waren. Die Absätze meiner Stiefel klapperten laut. Der Regen lief mir vom Nacken den Rücken hinunter und drang in meine Kleidung ein. Meine Haare klebten auf meinem Schädel, während mir die Nase lief.
Aaz und Rohw warteten bereits unter einem Baum in der Nähe des Joggingpfades. Zwischen ihnen lag ein Zombie. Eine Frau. Sie trug eine Jogginghose und eine dünne Regenjacke. Blond, jung und von einem dämonischen Parasiten befallen. Ihre Aura war alt und flackerte in einer Dunkelheit, die mir schwärzer zu sein schien als die Nacht.
Sie fletschte ihre Zähne, als sie mich sah, und wollte schon schreien, aber Zee hielt ihr mit seinen kleinen Händen den Mund zu. Also wollte sie aufspringen, aber Rohw hielt ihre Beine umklammert, und Aaz hatte ihre Arme bereits über ihren Kopf gezerrt. Trotzdem waren meine Jungs so vorsichtig, wie sie nur konnten. Die Wirte blieben unschuldig. Jedenfalls war ich immer davon ausgegangen.
Ich bückte mich und starrte den Zombie lange und unnachgiebig an, um mir ihr Gesicht und die wütende Aura einzuprägen. Ich stellte ihr keine Fragen, und ihre Verbrechen interessierten mich auch nicht. So wenig wie möglich dachte ich über die letzten zwei Jahre nach – und darüber, dass es Dämonen gab, die man bessern oder sogar bekehren konnte. Ebenso wenig dachte ich an ihre Unschuld. Heute Nacht würde ich keine Unschuld akzeptieren.
Stattdessen kam
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