Chroniken der Jägerin 3
hatte. Niemand, an den ich mich erinnern konnte. Der keinen Gedanken an die Dämonen zu verschwenden schien, die ihn umlagerten, ganz so, als seien sie ihm völlig egal.
Ich wandte mich von ihm ab. Der Mann packte mein Handgelenk. Die Berührung schmerzte. So wie der Umstand schmerzte, dass Zee und die anderen keine Regung zeigten. Sie beobachteten uns mit verschleierten Blicken, herabhängenden Stacheln, zuckenden Klauen. Sie waren erschrocken und aufgewühlt.
»Maxine«, sagte der Mann mit ruhiger Bestimmtheit, »du kennst mich doch.«
Ich verdrehte meine Handgelenke und entwand mich seinem Griff, ohne mich um sein schmerzhaftes Zischen zu kümmern. Ich schob die Dämonen von meinem Schoß, kroch zurück und schaffte es irgendwie aufzustehen. Allerdings nur für einen Augenblick. Meine Knie gaben nach, und ich fiel ungelenk und schmerzerfüllt auf das Sofa.
Jacks Leichnam lauerte am Rand meines Blickfeldes. Als ich meine Finger ausstreckte, bröckelte sein getrocknetes Blut und zog an meiner Haut. Ich rieb meine Hände aneinander. Im Inneren war ich wie betäubt, von dem Schmerz in meiner Kehle einmal abgesehen. Und ich war so gefühllos wie eine Tote, bis auf die Furcht in meinem Herzen. Ich war so benommen, dass ich gern geschrien hätte oder losgerannt wäre.
Dek und Mal befreiten sich aus meinem Haar und glitten an meinen Armen auf meinen Schoß hinab. Die Muskeln zuckten in ihren langen, schlangengleichen Körpern – und kleine, verkümmerte Ärmchen umklammerten meine Handgelenke, während sie mir das Blut von den Händen leckten. Ihre Zungen waren heiß. Der Mann blickte zuerst sie an und dann mich. Verhärmt, hager … aber furchtlos.
»Zee«, krächzte er, »du weißt, wer ich bin.«
Mein Herz hörte zu schlagen auf, als er den Namen des Dämons aussprach. Zee schloss die Augen. Der Mann drehte sich suchend nach ihm um. »Zee.«
»Kenne dich«, schnarrte der Dämon nach grauenvollem Zögern. »Grant.«
Ich schob Dek und Mal von meinem Schoß und taumelte vom Sofa. Dann ging ich zwei Schritte auf Jacks Körper zu und blieb dort stehen. Hielt mir den Bauch und den Hals. Das
konnte doch nicht wahr sein! Gestern hatten wir noch gemeinsam Kuchen gegessen. Er hatte auf Büchern gesessen und über die Bienenzucht bei den alten Römern schwadroniert. Er hatte mich vorm Schlafengehen noch einmal umarmt und auf die Wange geküsst.
Ich kniete mich in die Blutlache und berührte seinen Fuß. Seinen Schuhen hatte ich zuvor noch nie viel Aufmerksamkeit geschenkt. Sie waren dünn und braun, das Leder war rissig vom Alter. Zum Gehen schienen sie wie geschaffen. Es war der einzige Teil seines Körpers, den ich einfach so anschauen konnte.
»Ich wusste, dass etwas nicht in Ordnung war«, flüsterte der Mann hinter mir, und ich hörte, wie Holz über den Boden schleifte. Ich stellte mir den Stock in seiner Hand vor, und das Bild erschütterte mich wie ein weiter, gut platzierter Schlag. »Ich war in Bellevue. Kannst du dich daran erinnern? Ich bin schon vor Stunden aufgebrochen, um etwas mit einem unserer Lieferanten zu klären. Du bist geblieben, weil Jack mitten in der Nacht angerufen hat. Er wollte mit dir reden. Er sagte, es sei wichtig.«
Wichtig. Bei Jack war immer alles wichtig.
Aber zu allem anderen, was der Mann erzählte, klingelte es nicht bei mir. Außer vielleicht bei dem Wort Lieferanten.
Ein Bild von einer großen gemütlichen Küche voller freiwilliger Helfer tauchte auf. Musik von Oklahoma! plärrte aus den Lautsprechern an der Decke, und die Ablagen waren von großen Kartons mit Säften, Eiern und gefrorenen Würstchen vollgestellt. Mir war, als röche ich Würstchen, als zöge ihr Duft durch die geöffnete Apartmenttür.
Das kommt aus der Küche des Coop, sagte ich mir. Ich wohnte über einem Obdachlosenasyl.
Doch ich konnte mich nicht erinnern, warum.
Der Gehstock klackte auf dem Boden. »Ich habe dich gespürt, Maxine. Ich habe gespürt, dass etwas Schreckliches passiert sein musste. Ich bin so schnell zurückgekommen, wie es ging.«
Zu spät. Maxine ist fort.
Dek und Mal rollten über den Boden zu mir. Hatten ganze Whiskeyflaschen in den Mäulern, die sie schon halb verschluckt hatten, so tief, dass ich schließlich nur noch die Glasböden sehen konnte, hinter denen eine goldene Flüssigkeit schwappte. Ihre Augen verdrehten sich, als sie die Flaschen schließlich ganz verschluckten. Ich hatte keine Ahnung, wo der Schnaps herkam, aber so waren die Jungs nun mal. Neben mir
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