Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
Ohr zischte, schreckliche Worte - dass sie eine Verräterin sei und die Nachtkinder hintergegangen habe und dass er sie mit seinen eigenen Zähnen zerfetzen werde.
»Tessa«, brüllte Will, doch sie war sich nicht sicher, ob Zorn oder irgendetwas anderes in seiner Stimme mitschwang. Blitzschnell griff er nach einer der leuchtenden Waffen an seinem Gürtel und schloss gerade die Finger um das Heft einer Seraphklinge, als der Vampir das Mädchen zu sich herumwirbelte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Tessa in sein anzüglich grinsendes weißes Gesicht, sah die blutverschmierten Fangzähne bereits auf sich zukommen ...
Doch einen Sekundenbruchteil später löste er sich in einer Wolke aus Asche und Blut auf. Die Haut in seinem Gesicht und an seinen Händen verschrumpelte und gab für einen winzigen Moment den Blick auf den darunterliegenden schwarzen Schädel frei, ehe auch dieser zerbröselte und nur noch ein Haufen Staub, ein paar lose Kleidungsstücke und eine glitzernde Silberklinge zurückblieben.
Als Tessa erleichtert aufschaute, sah sie Jem, der mit kreidebleichem Gesicht ein paar Schritte entfernt stand. In seiner linken Hand hielt er eine weitere Waffe, während seine rechte leer herabhing. Eine lange Schnittwunde erstreckte sich über seine Wange, doch ansonsten wirkte er unversehrt. Im Schein der erlöschenden Flammen strahlten seine Augen und Haare in einem grellen Silber. »Ich denke, das dürfte der Letzte gewesen sein«, meinte er.
Überrascht schaute Tessa sich um. Das Chaos hatte sich gelegt. Überall bewegten sich Schattenjäger zwischen den Ruinen des Musiksalons - einige saßen auch auf Stühlen und ließen sich von ihren Mitstreitern mit Stelen verarzten -, doch sie konnte keinen einzigen Vampir mehr entdecken. Inzwischen hatte sich auch der Rauch gelichtet, obwohl weiterhin weiße Asche von den versengten Vorhängen herabrieselte und wie unerwarteter Schnee durch den Raum schwebte.
Will, von dessen Kinn noch Blut tropfte, hob die Augenbrauen und warf Jem einen anerkennenden Blick zu. »Guter Wurf«, bemerkte er.
Jem schüttelte den Kopf. »Du hast de Quincey gebissen, du Narr«, tadelte er seinen Freund. »Er ist ein Vampir. Und du weißt, was es bedeutet, einen Vampir zu beißen.«
»Ich hatte keine andere Wahl«, erwiderte Will. »Er war dabei, mich zu erwürgen.«
»Ich weiß«, sagte Jem. »Aber ehrlich, Will. Schon wieder?«
Letztendlich war Henry derjenige, der Nathaniel von seinem Folterstuhl befreite, indem er einfach mit dem Schwert auf das Holz einschlug, bis es zersplitterte und die Fesseln freigab. Nathaniel rutschte auf den Boden, wo Tessa ihn auf ihren Schoß zog und er stöhnend liegend blieb. Rasch erteilte Charlotte ein paar Befehle: Sie ließ ein feuchtes Tuch herbeibringen, um Nates Gesicht abzuwischen, und holte einen ramponierten Vorhang, den sie über seinen Körper warf. Dann eilte sie zu Benedict Lightwood und verstrickte ihn in eine heftige Diskussion, während der sie abwechselnd zwischen Tessa und Nathaniel hin und her zeigte und theatralisch die Hände rang.
Tessa, die sich geistig und körperlich wie zerschlagen fühlte, fragte sich benommen, was um alles in der Welt Charlotte wohl vorhatte. Aber im Grunde spielte es keine Rolle. Die ganze Szenerie kam ihr vor wie ein Traum: Sie saß auf dem Boden, mit Nathaniel auf ihrem Schoß, während um sie herum die Nephilim sich gegenseitig mit den Stelen behandelten. Tessa konnte kaum glauben, wie schnell ihre Wunden und Verletzungen verschwanden, sobald die Heilrunen erst einmal auf ihre Haut aufgetragen waren. Jeder einzelne Schattenjäger schien diese besonderen, Iratze genannten Male blind zu beherrschen. Tessa beobachtete, wie Jem leicht zusammenzuckte, während er sein Hemd aufknöpfte, um eine tiefe Schnittwunde an seiner Schulter freizulegen. Er presste die Lippen zusammen und schaute weg, als Will die Heilrune unterhalb der Wunde sorgfältig in die Haut ritzte.
Doch erst als Will zu ihr herübergeschlendert kam, wurde Tessa klar, warum sie eigentlich so erschöpft war.
»Wie ich sehe, bist du wieder du selbst«, bemerkte er. In der Hand hielt er ein feuchtes Tuch, doch er hatte sich bisher noch nicht die Mühe gemacht, das Blut aus seinem Gesicht und von seinem Hals zu wischen.
Verwundert schaute Tessa an sich herab. Es stimmte: Irgendwann im Laufe der vergangenen Stunde hatte sie Camille verloren und sich wieder zurückverwandelt. Sie musste wirklich sehr benommen gewesen sein, dass sie die Rückkehr
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