Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
Verbrechen begangen wurde, das die Verborgene Welt betrifft ... wenn gegen die Gesetze unserer Welt verstoßen wurde, müssen wir ermitteln. Wir sind gesetzlich dazu verpflichtet. Wir müssen sogar dann Nachforschungen anstellen, wenn nur der Verdacht besteht, dass der Bündnisvertrag gebrochen wurde. Will hat Ihnen ja bereits von dem jungen Mädchen erzählt, das er in dieser Gasse gefunden hat. Sie war zwar die einzige Tote, deren Leichnam tatsächlich gefunden wurde, doch es gehen düstere Gerüchte um, dass irdische Jungen und Mädchen aus den Straßen von Londons ärmeren Vierteln über Nacht spurlos verschwinden. Die Verwendung von Magie zum Töten von Menschen verstößt gegen das Gesetz und fällt daher in unseren Zuständigkeitsbereich.«
»Mr Herondale erscheint mir erstaunlich jung für einen Polizeibeamten.«
»Schattenjäger werden schnell erwachsen und Will hat seine Ermittlungstätigkeit nicht allein durchgeführt.« Charlotte klang, als wollte sie diese Erklärung nicht vertiefen. »Aber das ist längst nicht alles, was zu unserem Aufgabenbereich gehört. Wir schützen außerdem den Bündnisvertrag und wahren das Abkommen - jene Gesetze, die den Frieden zwischen den Schattenweltlern sichern.«
Auch dieses Wort hatte Will verwendet, erinnerte Tessa sich. »Schattenwelt? Ist das ein Ort?«
»Ein Schattenweltler ist ein Lebewesen - eine Person, die teilweise übernatürlicher Herkunft ist. Vampire, Werwölfe, Feenwesen, Hexenmeister - das alles sind Schattenweltler.«
Tessa starrte Charlotte verständnislos an. Feen waren Wesen aus Kindermärchen und Vampire zählten zu den Figuren aus Groschenromanen. »Diese Kreaturen gibt es wirklich?«
»Sie selbst sind ein Schattenwesen«, erwiderte Charlotte. »Das hat Bruder Enoch bestätigt. Wir wissen nur noch nicht, zu welcher Sorte Sie gehören. Denn eines müssen Sie wissen: Die Art von Magie, zu der Sie in der Lage sind - Ihre Fähigkeit -, zählt nicht zu den Dingen, die normale Menschen vollbringen könnten. Und auch wir Schattenjäger sind dessen nicht mächtig. Will vermutete, dass Sie sehr wahrscheinlich eine Hexe sind - eine Annahme, zu der auch ich tendiert hätte. Aber alle Hexenwesen besitzen besondere Körpermerkmale, die sie als eben diese Wesen kennzeichnen: Flügel, Hufe, Schwimmhäute oder, wie Sie in Mrs Blacks Fall gesehen haben, Krallen oder Klauen an den Fingern. Doch Sie sind in Ihrem Äußeren durch und durch menschlich. Und aus Ihren Briefen geht hervor, dass Sie der Überzeugung sind, Ihre beiden Eltern wären ebenfalls rein menschlicher Natur gewesen.«
»Menschlich?« Tessa starrte Charlotte an. »Warum sollten sie etwas anderes als Menschen gewesen sein?«
Doch ehe Charlotte antworten konnte, wurde die Tür geöffnet und ein schlankes, dunkelhaariges Mädchen mit einer weißen Haube und einer adretten Schürze kam herein. In den Händen hielt sie ein Tablett mit Tee, das sie auf dem Tisch zwischen Charlotte und Tessa abstellte.
»Danke, Sophie«, sagte Charlotte, offensichtlich erleichtert, das Mädchen zu sehen. »Dies hier ist Miss Gray. Sie wird heute Abend unser Gast sein.«
Sophie richtete sich auf, wandte sich Tessa zu, machte einen raschen Knicks und murmelte: »Miss.« Doch Tessa registrierte gar nicht, dass das Dienstmädchen vor ihr geknickst hatte, denn im selben Moment hob Sophie den Kopf und Tessa konnte einen Blick auf ihr Gesicht werfen. Das Mädchen musste einst sehr hübsch gewesen sein - mit leuchtend haselnussbraunen Augen, glatter Haut, weichen Lippen und einer feinen Gesichtsform. Doch nun erstreckte sich von der Schläfe bis zum linken Mundwinkel eine wulstige, silbern schimmernde Narbe, die das Gesicht zur Seite zog und die Züge des Mädchens zu einer grotesken Maske verzerrte. Tessa versuchte, ihr Entsetzen zu kaschieren, aber als sie sah, wie sich Sophies Augen verdüsterten, wusste sie, dass ihr dies nicht gelungen war.
»Sophie«, fuhr Charlotte nun fort, »hast du das dunkelrote Kleid schon heraufgebracht, so wie ich es dir aufgetragen habe? Kannst du es bitte aufbürsten und für Miss Gray bereitlegen?« Als das Dienstmädchen nickte und zum Kleiderschrank ging, wandte sie sich wieder an Tessa. »Ich habe mir erlaubt, eines von Jessamines alten Kleidern für Sie umarbeiten zu lassen. Die Kleidung, die Sie am Körper trugen, war vollkommen ruiniert.«
»Verbindlichsten Dank«, erwiderte Tessa förmlich. Sie hasste es, jemandem zu Dank verpflichtet zu sein. Die Dunklen Schwestern hatten
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