Jeier, Thomas
Vorwort
Winnetou ist an allem schuld: Schon mit zwölf Jahren, als ich die Romane über den edlen Apachen-Häuptling las, war ich von den Indianern begeistert. Die Karl-May-Filme, unzählige Hollywood-Western, die Lederstrumpf-Romane von James Fenimore Cooper, die Geschichten über Tecumseh von Fritz Steuben oder Die Söhne der großen Bärin von Liselotte Welskopf-Henrich prägten mein frühes Bild der ersten Amerikaner. Ich stehe mit meiner Begeisterung nicht allein. Kaum ein Volk fasziniert die Menschen so sehr wie die Indianer. Selbst die iPad-Generation erliegt noch immer der Anziehungskraft dieser vielschichtigen Kultur, die von der Sehnsucht des modernen Menschen nach urwüchsiger Natur und grenzenloser Freiheit zeugt. Der stattliche Krieger mit dem farbenprächtigen Federschmuck, der kühne Reiter, beseelt von tollkühnem Mut Lmd der Bereitschaft, für seine Ehre zu sterben, sein tiefer Respekt vor den Alten, den Frauen und Kindern, die bedächtige Weisheit der weißhaarigen Häuptlinge, wenn es darum geht, eine Entscheidung zu treffen, und die anmutigen Frauen, in einfachen Lederkleidern und mit langen schwarzen Haaren ziehen Menschen aller Generationen immer wieder in ihren Bann.
In solchen Bildern schwingen auch die seit Jahrhunderten immer wiederholten Klischees mit. Schon bald nach der Landung der ersten europäischen Siedler wurden die Indianer zum Mythos. Häufig galten sie als unzivilisierte Wilde oder wurden als unschuldige Bewohner eines irdischen Paradieses, das Regierungen und Zeitungen in der Alten Welt den Auswanderern in Aussicht stellten, beschrieben. So wurden sie zu einem Produkt der Fantasie, waren schon Fiktion, bevor die Wildwestshows eines Buffalo Bill oder Völkerschauen auf den Weltausstellungen diese Vorstellungen erneut bestätigten.
Abseits aller Karl-May-Romantik suchte ich bereits als Junge nach der Wirklichkeit hinter diesen Bildern. Schon früh war mir klar, dass weder Hollywood noch Karl May die Wahrheit erzählten. Beim späteren intensiven Studium der amerikanischen Fachliteratur, vor allem der Aufzeichnungen von Soldaten und Siedlern aus den vergangenen Jahrhunderten und dem regen Austausch mit amerikanischen Fachleuten, bekam ich zunehmend ein ganz anderes Bild der amerikanischen Ureinwohner. Meine erste USA-Reise führte mich bereits als junger Mann zu den »Westerners« in Chicago. So nennt sich eine Gruppe von Fachleuten, die sich mit der Geschichte des amerikanischen Westens beschäftigt.
Die ersten ausführlichen Gespräche mit Indianern führte ich im Monument Valley mit einigen Navajo-Indianern und am 25. Juni 1976 mit einem jungen Cheyenne in Billings, Montana. Dort hielt ich mich mit amerikanischen Autoren bei einer Tagung der Autorenvereinigung »Western Writers of America« auf, die anlässlich des hundertsten Jahrestags der Schlacht am Little Bighorn veranstaltet wurde. Damals ging das Gerücht, radikale Indianerführer könnten Westernautoren entführen, um auf diese Weise gegen die falsche Darstellung der Indianer in Filmen und Romanen zu protestieren. Es blieb bei der Drohung, und wir führten stattdessen interessante Gespräche.
Seit damals pendele ich zwischen Deutschland und den USA und habe zahlreiche Freunde unter Amerikanern und Indianern gewonnen. Jedes Jahr halte ich mich mehrere Wochen oder Monate in den USA auf und verbringe einen großen Teil meiner Zeit im amerikanischen Westen und in Reservaten. Mein Blick für die oftmals desillusionierende Wirklichkeit blieb dabei ungetrübt. Das Studium historischer Quellen und der Kontakt zu (auch indianischen) Wissenschaftlern und Historikern halfen mir, die Geschichte und Kultur der Indianer nüchtern zu betrachten, um nicht wie manch Indianerbegeisterter in einseitige Schwärmereien und Lobgesänge zu verfallen. Auch Indianer sind Menschen und keine mythischen Wesen, die in einer heilen Welt fernab der Wirklichkeit leben.
Zu den prägendsten Erlebnissen gehörte sicher mein achtwöchiger Trip mit dem Lakota Ron Hawks, der mich zu Schlachtfeldern, Forts und heiligen Plätzen der Plains-Indianer führte. Bei den Blackfeet in Montana lernte ich Curly Bear Wagner kennen, einen ehemaligen indianischen Aktivisten. Zu den bleibenden Eindrücken zählt auch meine Begegnung mit Gerard Baker, einem Mitglied der Mandan-Hidatsa-Stämme. Er war Superintendent des Mount Rushmore National Memorial. Ihm ist es zu verdanken, dass in dem patriotischen Film über das Denkmal, der im Schatten der riesigen, in
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