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Die Zeugin

Die Zeugin

Titel: Die Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brown Sandra
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Prolog
    Der Säugling nuckelte an der Brust seiner Mutter.
    Â»Er strahlt wirklich Lebensfreude aus«, meinte die Schwester. »Irgendwie sieht man es einem Baby einfach an, ob es zufrieden ist oder nicht. Ich meine, das hier ist es.«
    Kendall konnte sich nur ein schwaches Lächeln abringen. Sie brachte kaum einen zusammenhängenden Gedanken zustande, von einer richtigen Unterhaltung ganz zu schweigen. Immer noch versuchte sie, die Erkenntnis zu verdauen, daß sie und ihr Kind den Unfall überlebt hatten.
    Ein dünner gelber Vorhang schirmte im Untersuchungszimmer der Krankenhaus-Notaufnahme die Patienten notdürftig vom Gang ab. Neben den weißen Metallkästen mit den Verbänden, Spritzen und Schienen befand sich ein Edelstahlwaschbekken. Kendall saß auf dem gepolsterten Untersuchungstisch in der Mitte der Kabine und wiegte ihren Sohn in den Armen.
    Â»Wie alt ist er?« fragte die Krankenschwester.
    Â»Drei Monate.«
    Â»Erst drei Monate? Das ist aber ein kräftiges Kerlchen!«
    Â»Er macht sich prächtig.«
    Â»Wie heißt er noch mal?«
    Â»Kevin.«
    Die Krankenschwester lächelte die beiden an und schüttelte dann staunend und voller Ehrfurcht den Kopf. »Ein Wunder, daß Ihnen nichts passiert ist. Eine schreckliche Situation, meine Liebe. Sind Sie nicht durchgedreht vor Angst?«
    Der Unfall war zu schnell passiert, als daß Kendall dem Geschehen hätte folgen können. Es hatte so gegossen, daß der
Wagen praktisch schon aufgeprallt war, ehe man den umgestürzten Baum gesehen hatte. Viel zu spät hatte die Beifahrerin auf dem Vordersitz aufgeschrien, der Fahrer das Steuer herumgerissen und die Bremse durchgetreten.
    Sowie die Reifen den Halt auf dem nassen Pflaster verloren, begann sich der Wagen um 180 Grad zu drehen, wurde erst von der Straße und dann über das weiche, schmale Bankett geschleudert, um schließlich die viel zu schwache Leitplanke niederzureißen. Alles nahm seinen unabänderlichen Lauf.
    Kendall hörte wieder den Lärm, mit dem der Wagen die überwucherte Böschung hinunterstürzte. Äste kratzten die Lakkierung auf, schälten die Gummileisten ab und schlugen die Radkappen weg. Die Fenster barsten. Felsen und Baumstümpfe verbeulten die Karosserie. Merkwürdigerweise gab im Wagen niemand einen Laut von sich. Wahrscheinlich hatte das Entsetzen ihnen die Sprache verschlagen.
    Obwohl sie den unvermeidlichen letzten Aufprall lange kommen sah, überraschte es sie, mit welcher Wucht der Wagen bei seinem Absturz auf die massive Fichte prallte.
    Dem Gesetz der Schwerkraft folgend, hoben sich die Hinterräder steil an. Als das Fahrzeug endgültig zu Boden krachte, schlug es dumpf und massig wie ein tödlich verwundeter Büffel auf und gab dann einen pfeifenden Todesseufzer von sich.
    Kendall hatte mit angelegtem Dreipunktgurt hinten gesessen und überlebt. Obwohl der Wagen obendrein gefährlich schief an dem abschüssigen Hang klemmte, schaffte sie es, mit Kevin in den Armen aus dem Wrack zu klettern.
    Â»Das Gelände da draußen ist ziemlich unwegsam«, bemerkte die Krankenschwester. »Wie, um alles in der Welt, sind Sie aus dieser Schlucht rausgekommen?«
    Das war nicht leicht gewesen.
    Sie hatte gewußt, daß es schwierig werden würde, sich zur
Straße hochzuhangeln, aber hatte unterschätzt, wieviel Kraft sie der Aufstieg kosten würde. Kevin in ihren Armen zu halten, hatte das Ganze doppelt erschwert.
    Das Gelände schenkte ihr nichts, das böswillige Wetter genausowenig. Der Boden war nur noch schlammiger Morast. Darüber breitete sich ein verfilzter Pflanzenteppich, durch den sich immer wieder scharfkantige Felsen bohrten. Der Regen peitschte fast waagerecht durch die Luft und hatte sie in wenigen Minuten bis auf die Haut durchnäßt.
    Noch bevor sie ein Drittel des Weges geschafft hatte, begannen die Muskeln in Armen, Beinen und im Rücken zu ermatten und vor Überanstrengung zu brennen. Die ungeschützte Haut wurde durchbohrt, zerkratzt, aufgerissen, blaugeschlagen, wundgepeitscht. Mehr als einmal meinte sie, es nie zu schaffen, und hätte am liebsten aufgegeben, um sich hinzulegen und zu schlafen, bis die Natur ihr Leben und das ihres Kindes forderte.
    Aber der Überlebensinstinkt war stärker als diese verlokkende Unterwerfung, deshalb kämpfte sie weiter. Schlingpflanzen und Felsen als Halt und Fußstützen nutzend, zog sie

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