Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
Jem wirkte nicht besonders überzeugt. Er beugte sich vor und hielt dem Kater die Hand entgegen, der sofort näher kam und seinen Kopf an Jems Fingern rieb. »So ist es brav, Church«, lobte er das Tier.
»Church? Ist das der Name deiner Katze?«, fragte Tessa amüsiert - trotz ihres Kummers. »Du meine Güte, war diese Mieze nicht eine von Mrs Darks Gefährten oder so etwas Ähnliches? Vielleicht ist Church nicht gerade ein passender Name für sie!«
»Für ihn. Die Mieze ist ein er«, berichtigte Jem sie in gespielter Empörung. »Außerdem war der Kater kein Gefährte, sondern eine arme Kreatur, die Mrs Dark im Rahmen ihres Totenbeschwörungszaubers zu opfern gedachte. Charlotte redet ständig davon, dass wir ihn behalten sollten, weil es angeblich Glück bringt, eine Katze in der Kirche zu haben. Also haben wir ihn einfach den ›Kirchenkater‹ genannt ... und daraus wurde dann schließlich Church«, erklärte Jem achselzuckend. »Und wenn dieser Name dazu beiträgt, dass er nicht in Schwierigkeiten gerät, umso besser.«
»Irgendwie habe ich den Eindruck, dass er mich auf eine überhebliche Weise mustert.«
»Gut möglich. Katzen betrachten sich generell als allen anderen überlegen.« Jem kraulte Church hinter den Ohren. »Was liest du denn da?«
Tessa zeigte ihm den Codex. »Will hat ihn mir gegeben ...«
Jem streckte die Hände aus und zog den Wälzer so rasch auf seinen Schoß, dass Tessa keine Zeit blieb, ihren Finger wegzunehmen. Das Buch war noch genau auf der Seite aufgeschlagen, die sie gelesen hatte. Jem warf einen Blick auf den Textabschnitt und sah dann Tessa wieder an, wobei sich sein Gesichtsausdruck veränderte. »Hast du das wirklich nicht gewusst?«, fragte er teilnahmsvoll.
Tessa schüttelte den Kopf. »Es geht gar nicht darum, dass ich davon geträumt hätte, eines Tages Kinder zu bekommen«, erklärte sie. »So weit voraus habe ich nie gedacht. Aber dieser Umstand erscheint mir als eine weitere Eigenschaft, die mich von der Menschheit trennt. Etwas, das mich zu einer Monstrosität macht ... anders als alle anderen.«
Jem schwieg eine Weile und streichelte nachdenklich das graue Fell seines Katers. »Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, anders als alle anderen zu sein«, sagte er schließlich und beugte sich vor. »Tessa, du weißt doch, dass du trotz der Tatsache, dass du eine Hexe zu sein scheinst, über Fähigkeiten verfügst, die wir noch nie zuvor gesehen haben. Und du trägst kein Lilithmal. Bei so vielen Unklarheiten zu deiner Person darfst du nicht zulassen, dass diese eine Information dich zur Verzweiflung treibt.«
»Ich bin ja gar nicht verzweifelt«, erwiderte Tessa. »Es ist nur so: Ich habe während der vergangenen Nächte lange wach gelegen. Und viel nachgedacht. Über meine Eltern. Ich kann mich zwar kaum noch an sie erinnern, aber dennoch beschäftigen mich immer wieder dieselben Fragen: Mortmain hat gesagt, meine Mutter habe nicht gewusst, dass mein Vater ein Dämon war. Aber hat er dabei vielleicht gelogen? Er meinte, sie habe nicht einmal gewusst, was sie selbst war. Aber was hat das zu bedeuten? Hat sie denn gewusst, was ich bin ... dass ich kein Mensch bin? Ist das der Grund, warum meine Eltern London so überstürzt verlassen haben, bei Nacht und Nebel ... und ohne einer Menschenseele davon zu erzählen? Wenn ich das Ergebnis eines ... eines schrecklichen Unrechts bin, das meiner Mutter ohne ihr Wissen angetan wurde, wie kann sie mich dann jemals geliebt haben?«
»Deine Eltern haben dich vor Mortmain versteckt«, hielt Jem ihr entgegen. »Offensichtlich haben sie gewusst, dass er dich in seine Finger bekommen wollte. Die ganzen Jahre, in denen er nach dir gesucht hat, haben sie dich aus seiner Reichweite gehalten - zuerst deine Eltern und später deine Tante. Das ist nicht die Vorgehensweise einer lieblosen Familie.« Seine Augen musterten Tessa eindringlich. »Tessa, ich möchte dir zwar keine Versprechungen machen, die ich nicht halten kann, aber wenn du wirklich die Wahrheit über deine Vergangenheit erfahren willst, können wir Nachforschungen anstellen und sehen, was wir herausfinden. Nach allem, was du für uns getan hast, schulden wir dir wenigstens diesen Gefallen. Falls es irgendwelche Geheimnisse darüber gibt, wie du zu deinen Fähigkeiten gekommen bist, dann werden wir sie aufdecken - falls es das ist, was du möchtest.«
»Ja. Das möchte ich.«
»Allerdings könnte es sein, dass dir das, was wir herausfinden, nicht gefällt«, gab Jem noch
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