Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
Starkweather. »Wir haben alles abgesucht, aber vergebens. Schließlich sind wir davon ausgegangen, dass er tot ist - bis dann dieser Antrag hier auftauchte, frech wie Oskar, und Wiedergutmachung verlangte. Selbst seine Adresse ...«
»Seine Adresse ?«, hakte Will sofort nach, denn diese Information hatte sich auf dem Auszug, den sie im Londoner Institut gesehen hatten, nicht befunden. »In London?«
»Nein. Hier in Yorkshire.« Starkweather tippte mit einem runzligen Finger auf das Papier. »Ravenscar Manor. Ein riesiger, alter Kasten nördlich von hier. Steht seit Jahrzehnten leer ... Jetzt, da ich darüber nachdenke, versteh ich gar nicht, wie er sich das Anwesen überhaupt hat leisten können. Es war jedenfalls nicht sein Elternhaus.«
»Trotzdem wäre das für unsere Suche ein hervorragender Ausgangspunkt«, sagte Jem. »Wenn das Gebäude seit seinem Auszug leer steht, lassen sich eventuell noch ein paar Spuren finden ... Gegenstände, die er zurückgelassen hat. Und womöglich nutzt er das Haus ja sogar noch.«
»Hm, wäre denkbar.« Starkweather klang wenig begeistert. »Die meisten Besitztümer der Familie Shade wurden als Trophäen konfisziert.«
»Trophäen«, wiederholte Tessa matt. Im Codex hatte sie etwas über diesen Begriff gelesen: Wenn ein Schattenweltler gegen das Gesetz verstoßen hatte, konnte sein gesamter Besitz beschlagnahmt werden - als Trophäen oder auch Kriegsbeute. Tessa schaute quer über den Tisch zu Jem und Will; Jems sanfter Blick ruhte besorgt auf ihr, während Wills gequälte blaue Augen nichts von ihren Geheimnissen preisgaben. Zählte sie wirklich zu einer Gruppe von Lebewesen, die sich im Krieg mit denjenigen befand, denen Jem und Will angehörten?
»Ja, Kriegsbeute«, bestätigte Starkweather. Er hatte inzwischen sein Glas geleert und machte sich nun über Wills unangetasteten Wein her. »Interessierst du dich dafür, Mädchen? Wir haben hier im Institut eine ganz ordentliche Sammlung zusammengetragen. Stellt die des Londoner Instituts bei Weitem in den Schatten, wie ich mir hab sagen lassen.« Er erhob sich und stieß dabei fast seinen Stuhl um. »Kommt, ich zeig sie euch. Dann kann ich euch unterwegs den Rest dieser jämmerlichen Geschichte erzählen, obwohl es eigentlich nicht mehr viel zu erzählen gibt.«
Tessa warf Will und Jem einen fragenden Blick zu, doch die beiden waren bereits aufgestanden und folgten dem alten Mann aus dem Raum hinaus in den Flur.
Starkweather redete die ganze Zeit, während er mit großen Schritten vorausging. Seine Stimme schwebte undeutlich über seine Schulter zu Tessa, sodass sie sich beeilen musste, um nicht hinter Jem und Will zurückzubleiben.
»Habe von diesen Entschädigungsgeschichten nie viel gehalten«, verkündete Starkweather, während sie einen weiteren schlecht beleuchteten Flur durchquerten, der gar kein Ende zu nehmen schien. »Das sorgt nur dafür, dass die Schattenweltler anmaßend werden und glauben, sie hätten Anspruch darauf, dass wir ihnen was zahlen. Die ganze viele Arbeit, die wir leisten, und nie das kleinste Dankeschön; immer nur die Hand aufhalten für mehr, mehr, mehr! Seid ihr nicht auch meiner Meinung, Gentlemen?«
»Mistkerle, alle wie sie da sind«, sagte Will, der aber mit seinen Gedanken meilenweit entfernt schien. Jem warf ihm einen Seitenblick zu.
»Genau!«, blaffte Starkweather, offensichtlich erfreut. »Obwohl man solche Worte natürlich nicht in Gegenwart einer Dame verwenden sollte ... Wie gesagt, dieser freche Mortmain legte Beschwerde gegen die Tötung von Anne Shade ein, der Frau des Hexenmeisters. Er behauptete doch tatsächlich, sie hätte mit den Machenschaften ihres Mannes nichts zu tun gehabt, ja, hätte nicht mal davon gewusst. Ihr Tod wäre ungerechtfertigt. Und er verlangte, dass diejenigen, die sich des ›Mordes‹ schuldig gemacht hätten, wie er es formulierte, dass diese Schattenjäger vor Gericht gestellt würden. Außerdem forderte er die Rückgabe aller Besitztümer seiner Eltern.«
»Befand sich unter den Objekten, die er zurückverlangte, vielleicht auch das Weiße Buch?«, fragte Jem. »Ich weiß, dass der Besitz dieses Werkes für Hexenwesen als Straftat gewertet wird ...«
»In der Tat. Das Buch wurde zurückgeholt und wieder in die Bibliothek des Londoner Instituts überführt, wo es sich zweifellos noch immer befindet. Mortmain hätte man das Buch jedenfalls ganz gewiss nicht wieder ausgehändigt.«
Tessa überschlug rasch im Kopf, wie alt Starkweather damals
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