Club Kalaschnikow
Kapitel 1
In einer warmen Septembernacht bog ein weißer Ford vom »Prospekt Mira« in eine der stillen Nebenstraßen ab. Aus den halbgeöffneten Fenstern des Autos dröhnte ohrenbetäubend laut Popmusik. Die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Wagens beleuchteten für einen Moment die Silhouette der jungen Frau am Steuer. Der Mann neben ihr war nicht zu sehen, er lag fast auf dem weichen Sitz. Sein Kopf fiel der Frau dauernd auf die Schulter. Laut und falsch sang er mit dünner Tenorstimme den ausgelassenen Schlager mit.
»Hör auf, Gleb«, sagte die Frau stirnrunzelnd und schaltete den Kassettenrecorder aus.
»Musik, sag ich!« Der Mann stieß auf und stellte den Recorder wieder an.
Der Schlager donnerte über die ganze Straße.
»Hättest du nicht wenigstens bei meiner Premiere nüchtern bleiben können? Gleich im ersten Akt einzuschlafen! Sogar geschnarcht hast du.«
»Das ist eine dreckige Verleumdung. Ich schnarche überhaupt nicht! Niemals. Und im zweiten Akt habe ich nicht geschlafen, sondern meiner Begeisterung Ausdruck verliehen!« Er mußte wieder aufstoßen.
»Stimmt«, die Frau nickte, »aber am Büfett. Du hast deiner Begeisterung so laut Ausdruck verliehen, daß es sogar im Zuschauerraum und auf der Bühne zu hören war.«
»Na und, ich darf doch wohl mal auf ein Glas Kognak rausgehen und ein Häppchen essen. Das ist mein gutes Recht. Du bist unser Star, die geniale Primaballerina. Undich der Gatte im Hintergrund, der Kaufmann und Mäzen. Übrigens, Katja, ich hab am Büfett allerlei Leute getroffen. Was glaubst du wohl, wen zum Beispiel?« Gleb schob die feuchten Lippen vor und schmatzte dreimal.
»Wen denn?« fragte Katja gleichgültig.
»Deinen bekloppten Verehrer. Deshalb hab ich ja auch Stunk gemacht, weil ich die Schnauze gestrichen voll hatte. Der hat mich genervt, das hab ich ihm direkt gesagt: du nervst mich, hab ich gesagt.« Gleb fluchte kräftig und stieß wieder auf.
Katja gab keine Antwort, sie hielt auf dem riesigen finsteren Hof Ausschau nach einem Parkplatz. Sie war zu müde, um den Wagen in die Garage zu fahren.
»Hör mal, verehrte Diva, du willst doch dieses Gestrüpp nicht etwa ins Haus schleppen?« Gleb machte eine Kopfbewegung zum Rücksitz, auf dem sich die Blumensträuße türmten. »Das stinkt fürchterlich, ich muß davon niesen.«
Katja parkte exakt an der Bordsteinkante. Sie warf einen Blick zu den dunklen Fenstern ihrer Wohnung empor und wunderte sich. Noch vor einer Minute, als sie auf den Hof fuhr, hatte sie Licht im Wohnzimmer bemerkt. Jetzt war alles dunkel geworden. War Shannotschka doch über Nacht geblieben, um ihnen ein festliches Abendessen zu servieren? Hatte sie gehört, wie der Wagen vorfuhr, das Licht gelöscht und sich im Dunkeln versteckt, um dann plötzlich die Lichter über dem gedeckten Tisch aufflammen zu lassen, wenn Gleb und sie die Wohnung betraten? Aber es würde keine Feier geben. Gleb war sturzbetrunken, er würde unflätig fluchen, aufstoßen, rülpsen und zudringlich werden, Shannotschka würde beleidigt sein und weinend davonrennen, wie immer.
Nach der Premiere hatte es ein üppiges kaltes Büfett gegeben. Gleb Kalaschnikow war zwischen Blazern, burgunderroten Jacketts und nackten parfümierten Schultern umherflaniert,hatte Kognak und Champagner getrunken, die blutjungen Tänzerinnen des Corps de Ballet löffelweise mit Kaviar gefüttert und sie mit obszönen Anspielungen eingeladen, sich in seinem Casino als Striptease-Tänzerinnen etwas dazuzuverdienen. Er hatte Narrenfreiheit. Die Premiere war von ihm gesponsert, das Waganow-Ballett existierte von seinem Geld. Er war der allmächtige Chef, Herr über die leibeigenen Künstler.
Katja hatte keine Lust, in den Bankettsaal zu gehen, nicht einmal für ein paar Minuten. Sie schminkte sich absichtlich lange ab, nahm eine heiße Dusche, zog sich an und saß dann einfach mit geschlossenen Augen im Sessel. Die Muskeln schmerzten und summten wie Kabel unter Strom. Ihr Körper durchlebte alles noch einmal, wiederholte im Geist jeden Schritt. Lady Macbeth wirbelte über die Bühne und drehte sich in der Todespirouette. Ein schwereloser Engel des Todes. Katja tanzte so, daß die Zuschauer die Mörderin liebten, sich an ihr erfreuten, sie verstanden und entschuldigten, um dann plötzlich zur Besinnung zu kommen, sich zu wundern und dabei vielleicht etwas Neues, Wichtiges bei sich zu entdecken.
Es war eine gelungene Aufführung gewesen, alles andere war ohne Bedeutung. Durch ihren Kopf
Weitere Kostenlose Bücher