Code Freebird (German Edition)
sie in tausend Stücke. Sie öffnete die Augen, sah sich mit einem Bündel Drähten in der Hand und einer offenen Bluse dastehen. Ihre Anspannung entlud sich in einem unkontrollierten Lachen. Sie wankte vor Erleichterung.
Sie sah den Vierzigtonner nicht kommen, der von einem übermüdeten Fahrer nur mit Mühe in der Spur gehalten wurde.
21
Das Taxi setzte Levy vor einer weißen Patriziervilla in Klein Borstel ab. Sollte er jemals Lust verspüren, sesshaft zu werden, so wollte er sich diese Adresse als möglichen Kandidaten merken. In einer Allee an einem Alsterlauf gelegen, kündete dieser renovierte klassizistische, zweistöckige Bau in Hanglage vom Geschmack und Wohlstand seiner Besitzer.
Levy ging ans Tor und klingelte.
«Ja?», hörte er über die Gegensprechanlage.
«Balthasar Levy.»
Es dauerte einen Moment. Schließlich verschaffte ein Surren ihm Zutritt. Er ging die Auffahrt hinauf und sah die Eingangstür im Erdgeschoss sich öffnen. Heraus trat ein Mann in den Siebzigern – schlank und groß, schütteres weißes Haar, mit einer Lesebrille auf der Nase. In der Hand hielt er eine Tageszeitung. Er reichte Levy die Hand.
«Ezra Vogelsang, angenehm», sagte er. «Kommen Sie rein.»
Levy folgte der Einladung. Wie er es nicht anders erwartet hatte, hießen ihn die in Öl gemalten Vorfahren Vogelsangs in der Eingangshalle willkommen. Auf den ersten Blick reiche hanseatische Kaufleute. Zu seiner Linken öffnete sich das Empfangszimmer, gänzlich eingefasst von hohen Regalwänden mit einer schier unfassbaren Anzahl an Büchern.
«Sie haben es sehr schön hier», eröffnete Levy das Gespräch.
«Danke», erwiderte Vogelsang. «Wir haben vor zwei Jahren komplett renovieren lassen. Es ist das Elternhaus meiner verstorbenen Frau …»
«Das tut mir leid.»
«Ist schon in Ordnung. Die schwerste Zeit habe ich hinter mir. Nun frage ich mich, was ich mit dem Kasten anstellen soll. Für eine Person ist er definitiv überdimensioniert.»
«Sie haben keine Kinder?»
«O doch, auf der ganzen Welt verstreut. Sie sind, wie es unser Name schon sagt, alles unstete Seelen, die sich erst noch finden müssen. Bis dahin halte ich hier aus. Die Hälfte des Jahres bin ich aber nach wie vor in Israel. Meine Studenten … ich kann einfach nicht ohne sie.»
«Sie sind noch im Dienst?»
«Nein, nein. Bevor wir das Haus renovierten, bin ich emeritiert. Darauf hat Elsa, meine Frau, bestanden. Aber lassen wir das.» Er wies Levy einen Sessel zu. «Tee?»
Levy bejahte. «Danke, gern. Es freut mich, dass Sie Zeit für mich gefunden haben.»
«Nichts zu danken. Ich hoffe nur, ich kann Ihnen helfen, damit Sie den weiten Weg nicht umsonst gemacht haben.»
«Ich bin sehr gespannt. Besonders auf das Ergebnis, das Sie nach dem Vergleich der Täterprofile gewonnen haben. Wie Sie von meinem Kollegen, Falk Gudmann, erfahren haben, bearbeiten wir die Bombenanschläge in Hamburg …»
Levy fasste die bisherigen Ermittlungsergebnisse zusammen. Seine Ausführungen resultierten in der Bitte, ob Vogelsang ihm zur Studie der Universität Tel Aviv, an der er mitgearbeitet hatte, etwas sagen könne. Der Schwerpunkt läge auf dem psychologischen Hintergrund der Täter und inwieweit seine Erkenntnisse für den vorliegenden Fall heranzuziehen seien.
Vogelsang überlegte eine Weile. «Wie Sie wissen, hat sich diese Studie mit dem Phänomen der Selbstmordattentate im Nahen Osten befasst. Soweit ich aber aus den Medien erfahren habe, hat es bisher weder ein Täteropfer gegeben, noch steht fest, ob es sich tatsächlich um einen Täter oder um eine Gruppe aus dem Nahen Osten handelt. Zudem richteten sich ihre Anschläge gegen amerikanische und deutsche Staatsbürger. Zumindest war einer von ihnen ein Militär, die anderen waren Zivilisten. Ich sehe kein homogenes Ziel.»
«Das ist richtig. Dennoch möchte ich gern mehr über Ihre Ergebnisse in Erfahrung bringen. Und sei es nur, um einen bestimmten Täterkreis auszuschließen.»
Vogelsang nickte zustimmend. «Nun gut. Um das Ergebnis der Studie vorwegzunehmen: Die Anschläge in Israel und in den strittigen Gebieten sind weder mit dem Hinweis auf eine Suizidgefährdung der Täter noch mit einem radikalen Islamismus hinreichend zu erklären. Entscheidend sind der Gruppendruck und die persönliche Verpflichtung der Freiwilligen gegenüber den jeweiligen Gruppierungen, wie den Al-Aksa-Brigaden oder der Hamas.»
«Das heißt, eine Motivation allein aus dem Koran oder einer Tendenz zum Selbstmord zu
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