Code Freebird (German Edition)
antworten konnte, hörten sie das Wummern von Helikopterrotoren über ihnen.
«Scheiße, verdammte Scheiße!», schrie Hernandez nahe an der Verzweiflung. «Die werden uns rösten.»
«Was ist denn?!»
Kaum waren die Helikopter an ihnen vorbeigeflogen, erhielt er seine Antwort. Vom Himmel fielen helle, weißlich glühende und wunderschön anzusehende Lichtschweife. Sie entfalteten ihre ganze Pracht, als sie in einem gleißenden Lichtball am Boden explodierten. Sie zerstörten keine Häuser und sprengten keine Straße, sondern verwandelten diese rußschwarze Nacht in ein Silvesterfeuerwerk, wie er es selten zuvor gesehen hatte. Er nahm seine Kamera zur Hand und hielt diese Bilder fest. Silvester über Falludja, und das im November, dachte er.
Hernandez hingegen hatte für die Festbeleuchtung nicht das Geringste übrig. Mit Vollgas schoss der Truck über die zerbombte Straße. Hin und wieder glaubte er Menschen am Boden liegen zu sehen. Doch für die war es ohnehin zu spät. Und wenn sie nicht schnellstens diese Brücke erreichten, dann war es auch für sie die letzte Fahrt gewesen.
«Fahr langsamer», rief Jeff, der sich aus dem Fenster hinausbeugte, «die Aufnahme verwackelt.»
Doch Hernandez antwortete nicht, ihm lief der Schweiß übers Gesicht.
Da, noch einer dieser schönen Sternenschweife am Himmel. Ein Helikopter feuerte ein paar hundert Meter von ihnen entfernt einen Fächer hinaus. Die Lichtbahnen verteilten sich in alle Richtungen, und der Innenraum des Humvee tauchte in das farbenfrohe Licht einer Silvesterfeier.
Hernandez reagierte schnell, schloss die Lüftungsschächte der Heizung und hoffte auf sein Glück.
Als er sah, dass Jeff noch immer zum offenen Fenster hinausfilmte, schien es ihm, als würde alles um ihn herum in Stille und Bewegungslosigkeit verfallen. War das die Stunde seines Todes? Fühlte er sich so an?
Den Truck hob es in voller Fahrt aus der Spur, er kippte auf die Beifahrerseite und schlitterte ungebremst in einen Haufen aus Sand und Gestein. Irgendwo war eine Wasserleitung gebrochen. Der Strahl hüllte sie in einen Nebel aus Dreck und Feuchtigkeit.
«Soll ich einen Arzt verständigen?», fragte der Mann über ihm.
Muhammed öffnete die Augen. Er sah in ein unrasiertes und verschwitztes Gesicht.
Er streckte die Hand aus, und der Mann half ihm angeekelt aus dem Gras auf.
«Nur ein kleiner Schwächeanfall», sagte Muhammed. «Es geht schon wieder. Danke.»
Er ging zu seinem Wagen, setzte sich hinein und reinigte sich mit einem Erfrischungstuch. Blutig Erbrochenes klebte auf der Kleidung.
Dann startete er den Wagen und beschleunigte auf die Einfädelspur.
Im Rückspiegel sah er den Mann, der ihm aufgeholfen hatte, in das Klohäuschen gehen.
Er musste sich zusammenreißen, sagte er sich. Es hätte auch ein Polizist sein können. Nur noch diesen einen, letzten Job musste er erledigen, dann war die Sache ausgestanden.
Als er auf die Autobahn einscherte, zeigte das Schild in sechsunddreißig Kilometern Entfernung Stuttgart an.
30
Insgesamt hatten sich über viertausend Journalisten aus aller Herren Länder zu Kriegsbeginn im Irak aufgehalten. Hinzu kamen einige Dutzend, die das zweifelhafte Vergnügen hatten, im Zuge des sogenannten Embedded-Programms des US-Verteidigungsministeriums kämpfende Einheiten auf ihren Feldzug nach Bagdad zu begleiten. Darunter waren Reporter der großen amerikanischen und britischen Sendeanstalten wie auch ausgesuchte freie Journalisten, die als vertrauenswürdig galten und für wichtige Medien arbeiteten.
Colonel Nimrod hatte auf die Namen derjenigen Journalisten Zugriff, die über das Pentagon gekommen waren.
Nun musste er diese Liste mit der überprüfen, die Aufschluss gab, welchen Einheiten sie zugeteilt worden waren. Im Fokus stand der Trupp von Sergeant Boyle.
Levy und Aaliyah hatten die gleiche Idee gehabt: dass das Bild, welches den Blade Runner und die anderen in der Wüste zeigte, womöglich von einem embedded journalist gemacht wurde. Und wenn sie ganz großes Glück hatten, dann war dieser Journalist auch mit ihnen ins Feld gezogen. Dieser Mann oder diese Frau könnte ihnen etwas zum Blade Runner sagen.
Gespannt starrten sie auf den Monitor in Nimrods Büro. Namen und Bezeichnungen von Kampfeinheiten huschten in Kolonnen über den Schirm.
Schließlich stoppte der Computer und warf zwei Namen aus: Jeff Weingarten, Reporter des amerikanischen TV-Senders Koxx News, und Richard Freytag, sein Kameramann. Hinter dem
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