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Bestien in der Finsternis

Bestien in der Finsternis

Titel: Bestien in der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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1. Wo ist der Sparstrumpf?
     
    „Heute nachmittag“, sagte Gaby,
„brauche ich einen Begleitschutz. Nicht für mich, sondern für Oma Habrecht.
Allein traut sie sich nicht.“
    Es war während der großen Pause
— nach den Sommerferien, leider. Die TKKG-Bande stand unter der Ulme auf dem
sogenannten Pauker-Grün. Im Schatten zeigte das Thermometer 31 Grad an.
    „Wer ist Oma Habrecht?“ fragte
Tim. „Und was getraut sie sich nicht?“
    Seine Freundin trug ein weißes
T-Shirt — so leicht wie Spinnweben. Ihr goldblonder Pferdeschwanz wedelte über
dem Rückenausschnitt.
    „Oma Habrecht ist eine alte
Dame, die ich kenne, weil sie in Mamis Laden einkauft. Sie ist ein bißchen
verschroben, aber riesig nett. Manchmal lädt sie mich zu Kuchen und Tee ein.
Wenn ich Oskar mitbringe, kriegt er immer ein Stück Wurst.“
    „Bring mich mal mit“, meinte
Klößchen. „Vielleicht kriege ich ein Stück Schokolade.“
    „Oma Habrecht lädt nicht jeden
ein“, erwiderte Gaby.
    „Und was traut sie sich nicht?“
erinnerte Tim, bevor die Rede in andere Richtung driftete.
    „Wegen ihrer Verschrobenheit,
die ich schon erwähnte, hat sie etwas altmodische Ansichten. Naja, wie man halt
mit 81 Jahren so ist. Allerdings müssen diese Ansichten schon lange bestehen.
Denn sie hat ja eine Ewigkeit gespart.“
    „Mich beschleicht eine Ahnung,
worum es geht“, nickte Tim. „Aber ich warte, bis du’s sagst.“
    Ihre Kornblumenaugen lächelten
ihn an. „Nur Geduld. Die Leibwächter werden erst nachmittags gebraucht.
Mathilde Habrecht war früher Bibliothekarin. Zeitlebens hat sie gespart. Auch
von der Pension hat sie immer was zurückgelegt. Aber sie hat seit vielen Jahren
kein Bankkonto mehr, sondern nur einen Sparstrumpf.“
    Karl, der sich etwas verbogen
an den Ulmenstamm lehnte, grinste. „Mißtraut sie den Banken?“
    Gaby nickte. „Da muß es mal
einen Skandal gegeben haben — vor unserer Zeit. Eine Pleite. Den Zusammenbruch
einer Privatbank. Die Kunden waren dann angesch... miert, ihre Gelder nämlich
futsch. Da überkam Oma Habrecht das Grausen, und sie stopfte ihr Geld unter die
Matratze. Dort vermehrt es sich nun seit jener Zeit.“
    Die Jungs grinsten.
    „Das ist ja eine Einstellung
wie im ersten Jahrtausend“, meinte Klößchen. „Damals erlebte in Deutschland der
Sparstrumpf seine Blüte.“
    „Damals“, sagte Karl, „wurde
noch mit Naturalien ( Lebensmittel, Waren) Tauschhandel betrieben.“
    „Zum Beispiel einen halben
Zentner Schokolade für ein Pferd“, nickte Klößchen. „Oder einen Viertelzentner
für ein halbes Pferd.“
    Karl verdrehte die Augen hinter
seiner Nickelbrille. „Schokolade gab’s damals noch nicht.“
    „Armes Jahrtausend“, meinte
Klößchen. „Man fragt sich, wie die Leute satt wurden.“
    „Wie hoch sind Omas
Ersparnisse?“ wollte Tim wissen. Gaby wußte es. „Sie hat gespart und ein
bißchen geerbt. Insgesamt sind’s 198.000 Mark.“
    „Donnerwetter!“ Tim lachte.
„Sie braucht nicht nur Begleitschutz. Sie braucht einen Panzerwagen.“ Mit dem
Zeigefinger kratzte er sich in seinen braunen Locken. „Was hat denn die Oma zu
ihrem Sinneswandel bewogen, zu dem wiederhergestellten Vertrauen?“
    „Erstens hat sie Angst. Weil
immer mehr alleinstehende, alte Frauen in ihren Wohnungen überfallen werden.
Zweitens sei so lange kein Skandal passiert. Das spreche für die Banken. Also,
wie ist es? Kommt ihr mit als Begleitschutz, wenn Oma ihr Geld einzahlt. Ich
hab’s ihr versprochen. Euch habe ich mit Lorbeersaft übergossen, als wärt ihr
die Helden des Tages.“
    „Was durchaus der Wahrheit entspricht“,
sagte Klößchen.
    Tim dehnte die Rippen. „Wenn es
darum geht, unseren älteren, hilflosen Mitbürgern beizustehen, sind wir
selbstverständlich zur Stelle. Das muß man sich vorstellen: eine 81jährige Oma
mit 198.000 Mark in der Tasche tapert bankwärts, und die Straßengeier riechen
die Kohle. Denen genügt doch ein Fingerschnipp — und der Überfall ist gelaufen.
Aber nicht, wenn wir eskortieren ( begleiten ). Also wann, Gabriele? Wo?
Genügt unsere Freizeitkluft, oder erwartet die alte Dame weiße Manschetten?“
    Es klingelte. Schluß der Pause.
    Während sie in die Klasse
zurückgingen, übermittelte Gaby die Infos.
    Damit war zunächst alles klar.
     
    *
     
    Den Trockdöppler Weg säumten
kleine Häuschen mit Gärten. Unter der Sonnenglut des frühen Nachmittags schien
die Luft zu flimmern. Die parkenden Wagen berührte man besser nicht. Auf dem
Stahlblech

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