Code Freebird
auf dem Sprengplatz aufgebaut haben.«
Pawlow startete ein Video. Zu sehen war ein Dummy, wie sie bei Crashtests der Automobilindustrie verwendet werden. Er saß auf einem Sessel, vergleichbar mit dem aus dem Kino. An den Seiten waren weiße Wände arrangiert, die die Ausweitung der Druckwelle dokumentieren sollten. In beiden Händen hielt der Dummy einen Becher aus einem Kaffeeautomaten.
»Wir haben die Sprengung aus verschiedenen Blickwinkeln mit Hochgeschwindigkeitskameras aufgezeichnet«, sagte Pawlow. »Anstatt eigenhändig den Magneten zu lösen, haben wir die Stromzufuhr zu dem Magneten, der sich im Becher oberhalb der Sprengladung befindet, unterbrochen. Alles Weitere sehen Sie selbst.«
Das TATP explodierte in einem hellen Lichtball, gefolgt von einer schwarzen Rußwolke und einem gedämpften Knall aus den Lautsprechern, der die weißen Wände erzittern ließ. Nach weniger als einer Zehntelsekunde war alles vorbei.
Nachdem sich der Rauch verzogen hatte, erkannten Levy und Michaelis den Dummy kaum noch. Es war von der Bauchmitte aufwärts bis zum Kinn zerfetzt, die Hände waren bis zur Armbeuge abgerissen. Diese infernalische Wucht, die unbarmherzige Demonstration von Macht, die Knochen bersten ließ, Fleisch zerriss und Blutbahnen zerfetzte, übte einen nachhaltigen Eindruck auf sie aus.
»Nun nochmals in Zeitlupe«, sagte Pawlow und startete den Film.
Nun in langsam aufeinanderfolgende Einzelbilder zerlegt, konnte man die Reaktion des Sprengsatzes und seine Auswirkungen genau verfolgen. Erneut die Explosion, dann die Druckwelle, die sich zielgerichtet und durch die vordere Sitzlehne gestaut auf den Dummy ausrichtet. Zuerst reagiert aber nicht die träge Masse des Körpers, sondern auf die weißen Wände werden Sprengsplitter gestreut. Jetzt drückt es den Körper in den Sitz, der Schädel wird nach hinten geworfen, und Bauch- und Brustbereich platzen auf. Der Dummy sackt in sich zusammen, und der nachfolgende Rauch hüllt die Szene in dunkles Grau.
Michaelis war von der Demonstration beeindruckt. Sie schluckte, räusperte sich. »Vielen Dank, Herr Pawlow, für diese detailreiche Vorführung. Welche Erkenntnisse können wir daraus für unsere Ermittlungen gewinnen?«
»Bombe und Bauart verweisen auf radikal-islamistischen Hintergrund. Unter anderem die Anschläge in London und der Schuhbomber, der noch rechtzeitig gefasst werden konnte, legen dies nahe. TATP ist der bevorzugte Sprengstoff im Nahen Osten. Grund: Die Bestandteile sind relativ leicht zu besorgen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn Sie wissen, in welchen freiverkäuflichen Produkten diese vorkommen, ist die Beschaffung kein Problem.
Doch das ist nur der erste Schritt. Weitaus schwieriger gestaltet sich die Aufbereitung zu TATP. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen, anders ausgedrückt: der ambitionierte Möchtegern vom Profi. Schätzungsweise sind mehr Menschen beim Anmischen ums Leben gekommen als später bei der direkten Exposition der Bombe.«
»Was macht TATP so gefährlich?«, fragte Levy.
»Allein das Labor oder der Ort, an dem der Bombenbauer arbeitet, muss zahlreiche Voraussetzungen erfüllen. Zum Beispiel eine gute Luftzufuhr beziehungsweise -abfuhr, gute Gummihandschuhe, Schutzbrille, eine nichtleitende Arbeitsplatte, am besten Marmor, und …«
»Also in Heimarbeit, in der Küche, ist das nicht möglich?«, unterbrach Michaelis.
»Theoretisch schon, wenn die genannten Punkte zutreffen. Ansonsten tut es jeder trockene Raum, in dem sie ungestört arbeiten können. Aber entscheidend ist eine ruhige Hand. Sie arbeiten bei einer TATP-Bombe im Gramm-Bereich. Einmal vergriffen, verrechnet oder verschüttet … bumm.«
»Mit dem kleinen Chemiebaukasten ist das also nicht machbar?«, fragte Levy.
»Auch hier: theoretisch schon. Kenntnisse aus einem Chemie-Studium können aber auch nicht schaden.«
»Sind die uns bekannten Attentäter aus dem Nahen Osten zuvor auf eine Uni gegangen?«, schickte Michaelis ungläubig hinterher.
»Die meisten nicht. Doch berücksichtigen Sie, wie viele Tote eine einzige Bombe gefordert hat, bis sie einsatzfähig war. Soweit mir bekannt ist, gibt es dort drüben ja kaum Probleme mit dem Nachwuchs.«
»Dennoch legen Sie sich bei dem Täter auf den Nahen Osten fest?«, wollte Levy wissen.
»Nach allen mir vorliegenden Informationen ist die Wahrscheinlichkeit dafür gegeben. Natürlich kann es aber auch eine Falle sein, und jemand will uns hinters Licht führen, sprich, uns glauben machen, es
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