Code Freebird
Schicksal entkommen. Er stand weit oben auf der Liste der zu eliminierenden Ziele.
Massall hatte im Vergleich zu seinen überwiegend amerikanischen Kollegen einen Vorteil: Er sprach Deutsch. Mit seiner langjährigen Erfahrung in Krisengebieten war er der ideale Kandidat, um die Unit für deutsche Geschäftspartner aufzubauen.
Muhammed hatte sich am Telefon als außenwirtschaftlicher Berater eines deutschen Anlagenbauers ausgegeben und um ein Beratungsgespräch gebeten. Nein, er könne nicht im Büro vorbeikommen, ein Termin folge auf den anderen, hatte er sich entschuldigt und um ein Treffen in einem Hotel nicht weit entfernt gebeten. Außerdem seien noch weitere potenzielle Kunden anwesend. Diskretion sei eine Grundvoraussetzung für das Treffen.
Diese Vorgehensweise war Massall nicht fremd. Hotellobbys waren für ein erstes Kennenlerngespräch durchaus üblich.
Muhammed verband das letzte Kabel der elektronischen Zündvorrichtung mit dem Zahlenschloss am Aktenkoffer – darin vier Packungen Nitropenta. Dann drückte er den Zünder in die Masse.
Vorsichtig schloss er den Deckel, bis das Schloss einrastete. Noch war die Bombe nicht scharf, sondern nur betriebsbereit. Erst wenn er den richtigen Zahlencode eingab, würde dieser kleine Satan darauf warten, seine zerstörerische Kraft entfalten zu dürfen.
Muhammed stellte den Koffer beiseite und ging ins Badezimmer. Er hatte genügend Zeit für eine ausgiebige Dusche und eine gründliche Rasur. An diesem Tag würde er den Geschäftsmann mimen, der für die anstehenden Konsultationen im Irak sein Sicherheitsbedürfnis befriedigen wollte. Muhammed wusste, dass dieser Köder unwiderstehlich für die Forelle sein würde.
Er schaltete das kleine Radio an, das er neben die Handtücher im Regal gestellt hatte. Gleich müsste es Nachrichten geben. Er fragte sich, was sie heute bringen würden. Noch war wenig über den Anschlag im Kino bekannt geworden. Schliefen die Journalisten in diesem Land?, fragte er sich, oder hatten die Ermittlungsbehörden tatsächlich nichts Konkretes vorzuweisen?
Das würde sich bald ändern, schwor er. Seine nächste Arbeit würde alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen. Das Zeichen, das er damit setzte, wäre unübersehbar.
Während das Wasser der Dusche über seinen Körper lief, begleitete er die Musik mit einem Summen. Die Melodie war ihm bekannt, doch er konnte sich nicht mehr an den Text erinnern. Verdammt, sein Gedächtnis verabschiedete sich zusehends. Dabei erkannte er doch früher jedes Musikstück nach den ersten Tönen, wusste, wer es komponiert und gesungen hatte. Oft erinnerte er sich sogar noch, an welcher Stelle der Titel auf der CD zu finden war. All das war ihm früher leichtgefallen. Er hatte Spaß daran gefunden, die Kollegen kurz nach Start des Titels mit den dazugehörigen Daten zu überraschen. Jukebox war sein Spitzname gewesen.
Und jetzt konnte er noch nicht einmal den Refrain mehr mitsingen, nachdem er ihn mehrmals gehört hatte. All das war verloren.
Muhammed schob den Unmut beiseite und konzentrierte sich wieder auf sein bevorstehendes Date. Die gute Laune kehrte zurück. Mit der Seife in der Hand schäumte er seinen Körper ein. Es überraschte ihn, wie gut er gelaunt war.
Noch drei Minuten bis zu den Nachrichten, hörte er den Moderator sagen. Ein Golden Oldie sollte bis dahin die Zeit überbrücken. Elvis.
Die ersten Takte der Musik gingen im Geprassel des Wassers unter – eine Gitarre und ein Bass, getrieben von der Hitze auf dem Highway.
Und dann sang Elvis die ersten Worte dieses Songs, die ihm unauslöschbar in die Seele gebrannt worden waren: Train 1 ride.
Sie waren auf dem Weg zum Stützpunkt gewesen. Er lag rund zwanzig Kilometer außerhalb der Stadt. Es war früher Sonntagmorgen, und auch dieser Tag würde die Vierzig-Grad-Grenze übersteigen. Sie fuhren durch eine begrünte Allee eines Vorortes. Die gutbürgerliche Mittelschicht lebte hier, die sich unter Saddam keine Sorgen um ihr Auskommen machen musste. Auch wenn der Krieg gewonnen war, konnte man nie sicher sein, ob nicht irgendwo ein Heckenschütze lauerte. Vorsicht war geboten. Trotzdem, sie waren in Bewegung, und dieser Morgen war viel zu schön, um an die Gefahr zu denken.
Der Patrouillenführer Sergeant Boyle hatte es sogar ausnahmsweise gestattet, Musik im Humvee zu hören. Das sei eine Entschädigung für den Kirchgang, bei dem er zu dieser Zeit in seiner Heimat sein würde. Nur an Kirchenmusik war hier nicht zu denken, also
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