Code Freebird
Steinsplitter auf die Menschen herab. Die meisten kauerten oder lagen am Boden, die Hände schützend über den Kopf. Ein Kind, vielleicht drei Jahre alt, stand weinend zwischen ihnen. Im Off war lautes Schreien zu hören.
Ergebnis: ein Toter, sechsunddreißig zum Teil schwer Verletzte. Ein Wunder, dass nicht mehr verletzt oder getötet wurden.
Fall Nummer zwei, fünfzehn Tage später. Tatort Frankfurt. Die Einkaufsstraße Zeil, neunzehn Uhr fünfzig. Bericht des Augenzeugen Wolfram Kleinert, eines Versicherungsangestellten, der ein Geschenk für seine Frau kaufen wollte und kurz vor Ladenschluss ein Geschäft betrat.
»Ich sah diesen Mann unter einer der Straßenlampen stehen. Er versuchte händeringend, jemandem etwas zu erklären. Ich glaubte, es war ein Tourist, erkennen konnte ich ihn nicht. Unsere Blicke traf sich für einen Moment. Ich vermutete, dass er Hilfe suchte. Durch die große Fensterscheibe im Geschäft konnte ich dann sehen, dass der Mann mit seinem Handy telefonierte und dabei zwischen den Sitzbänken, die rund um die Bäume angebracht sind, hin und her ging.
Ich kümmerte mich nicht weiter darum. Kaum war er aus meinem Blickfeld verschwunden, krachte es auch schon. Ich spürte die Druckwelle bis ins Geschäft hinein. Alles um mich herum wackelte und erzitterte. Dann drückte es die Scheiben herein. Ich kann von Glück sprechen, dass ich hinter der Wand stand. Ein paar Splitter habe ich mir am Bein eingefangen.«
Das Opfer war Robert Townsend, US-Offizier im Rang eines Majors aus einem der in Frankfurt und Umgebung zahlreichen Stützpunkte der amerikanischen Streitkräfte. Der Sprengsatz war unter einer Sitzbank direkt am Baumstamm festgemacht. Dadurch erhielt die Explosion eine Richtung, sie strahlte nach vorne weg, direkt in die Fußgängerzone. Lediglich vier Personen wurden verletzt, eine schwer, die anderen leicht. Dass nicht mehr Passanten betroffen waren, lag an einem Transporter, der kurz vorher in der Nähe des Baumes geparkt worden war und damit eine weitere tödliche Ausbreitung verhindert hatte.
Die schwierigen Laboranalysen erbrachten eine Verbindung zum Hamburger Sprengsatz. Auch der Zünder und die verwendeten Materialien, darunter Reste desselben Klebebandes, stützten die These.
Townsend war lediglich anhand der Zeugenaussage Kleinerts und einer später durchgefühlten DNA-Analyse zu identifizieren. Sein Körper war durch die Explosion fast völlig unkenntlich.
Die Stellungnahme eines hessischen Kollegen schilderte die Vorgehensweise während der Ermittlungen.
»Erschwert wurde die Identifikation durch die amerikanischen Militärbehörden, besser gesagt, durch deren mangelnde Informationsbereitschaft.«
Levy schaute sich den Bericht genauer an. Was war da los? Da das Land Hessen und die Stadt Frankfurt sich jahrzehntelang unter Besatzungsstatut befanden, hatte sich eine seltsame Art der Kooperation zwischen den hessischen und den amerikanischen Ermittlungsbehörden entwickelt. Kaum war der Tatort von der Streifenpolizei gesichert und von den Spezialisten des LKA aufgenommen, übernahm die CID, die örtliche Kriminalpolizei der US-Armee, das Kommando.
Die hessischen Ermittler traten beiseite, da »die Interessen des Landes« gegenüber den amerikanischen zurückstehen mussten – das sei eine gängige Vorgehensweise, wenn ein US-Soldat auf deutschem Boden zu Tode kam.
Levy schüttelte über so viel sonderbare Verbundenheit den Kopf. Mehr noch, als erst eine Woche nach dem Anschlag in einer deutschen Fußgängerzone nur ein kurzes Statement zur Identifikation Townsends über das US-Kommando verlautbart wurde. Weitergehende Hinweise, wie etwa zum Aufbau dieser sogenannten Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (USBV), zum Zünder oder zum Opfer, blieben aus. Einzig was die deutschen Beamten selbst sichergestellt hatten, konnte den Ermittlungen dienen.
Dass in diesem Fall die bisher etablierte Vorgehensweise der Amerikaner nicht ohne Folgen blieb, ließ sich nur aus dem Anschlag in Hamburg ableiten.
Der gleiche Sprengstoff, vermutlich der gleiche Täter oder Täterkreis, Reste eines bestimmten Klebebandes. Ein lokaler Journalist, der über die Jahre gute Kontakte zu beiden Seiten aufgebaut hatte, brachte die Fakten ans Licht.
Bombenkrater Deutschland hieß die Schlagzeile. Eine Kopie des Artikels lag den Unterlagen bei. Amerikanisches Militär verweigert Zusammenarbeit bei der Aufklärung des zweiten Bombenanschlags in Deutschland, der mit radikal-islamistischen
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