Code Freebird
deutete auf einen Mann, der inmitten des Auditoriums stand und mit den Gästen auf der Bühne diskutierte.
Levy schaute zweimal hin. War das der Mann, den er bei Cromley gesehen hatte?
Auf die Entfernung hin könnte er es sein. Die Statur und sein Gesicht waren ähnlich schmal. Doch dieser Mann hatte weit mehr Haare auf dem Kopf. Es könnte eine Perücke sein, dachte Levy. Als der Mann seine rechte Hand hob, um gegen eine Äußerung von der Bühne zu protestieren, erkannte Levy die verletzte Hand, an der zwei Finger fehlten.
Eine seltsam gespreizte Fingerhaltung hatten die Spurensicherer festgestellt, nachdem sie das Gefäß untersucht hatten, das der ominöse Promoter der Kassiererin Wieczorek überreicht hatte. Oder aber dem Täter fehlte ein Finger.
»Sind Sie sicher, dass das Jeff Weingarten ist?«, versicherte sich Levy bei Cheghini.
Sie bestätigte es.
Was geht hier vor, fragte er sich. Hernandez sollte laut Cheghini seit einem halben Jahr tot sein. Somit war der Letzte aus Sergeant Boyles Trupp gestorben. Es blieb nur noch eine Person übrig, die engen Kontakt zu ihnen gehabt hatte. Jeff Weingarten.
Könnte er der Bombenleger sein? Verfügte er über die notwendigen Kenntnisse?
»Wo hat er sich in den letzten Jahren aufgehalten?«, fragte Levy Cheghini.
»Überwiegend im Osten.«
»Genauer bitte.«
»In der islamischen Welt. Er reiste zwischen Ramallah, Kabul, Bagdad und Damaskus umher.«
»Weswegen?«
»Er recherchierte für ein Buch, das er schreiben wollte.«
»Worum ging es dabei?«
»Hauptsächlich um den amerikanischen Einfluss in der Region und dessen Folgen. Er beschäftigte sich aber auch mit den sozialen Problemen der Bevölkerung und ihrem Kampf um Selbstbestimmung.«
»Ich nehme an, er kam dabei mit allen möglichen Leuten in Kontakt.«
»Sicher. Er lebt überwiegend im Irak, in einem Dorf nahe der Wüste. In einem Widerstandsnest. Ebenso selbstverständlich bewegt er sich unter den Militärbehörden in Bagdad. Er kennt alle, schließlich lebt er seit der Operation Iraqi Freedom im Land. Seine Kontakte und Informationen sind sehr geschätzt. Deshalb bin ich überhaupt auf ihn aufmerksam geworden.«
Sie hatten also die ganze Zeit ein Phantom gejagt, wurde Levy klar. Dieser Jeff Weingarten besaß alle Voraussetzungen für die Anschläge – die Informationen über die Opfer, die Kenntnisse im Bombenbau und vor allem ein Motiv. Eine amerikanische Waffe hatte sein Leben besiegelt. Nicht irgendeine, sondern eine ganz besondere. Diese Art von Waffen waren die offizielle Begründung für den Einmarsch im Irak gewesen. Bei Saddam waren sie zwar nie gefunden worden, dafür hatten die Befreier sie zum Einsatz gebracht.
Deshalb richtete sich Weingartens Hass nun gegen die eigenen Landsleute, genauer gegen diejenigen, die sich am Krieg gegen den Irak beteiligt und in seinen Augen schuldig gemacht hatten.
Opfer Nummer eins war Steve Pratchett gewesen, der die US-Regierung zum strategischen Vorgehen in der Region beraten und politischen Entscheidungen damit den Weg geebnet hatte.
Opfer Nummer zwei: Robert Townsend arbeitete maßgeblich an der Desinformationspolitik der US-Regierung mit. Der blow back hatte die Weltöffentlichkeit über die wahren Ereignisse im Irak getäuscht.
Opfer Nummer drei: Der BND-Mann Kevin Raab war für den Tod zahlreicher Zivilisten verantwortlich. Seine Zielleitkoordinaten lenkten amerikanische Bomben in die Häuser unschuldiger irakischer Familien.
Opfer Nummer vier: Dennis Massall und das Sicherheitsunternehmen Clearwater. Das menschenverachtende Vorgehen seiner Mitarbeiter war gefürchtet. Dass ihre brutalen Taten straflos blieben, musste jeden Iraker provozieren.
Opfer Nummer fünf: Candice Brendall hatte blutige Verhöre geleitet. Waren Abu Ghureib und Guantánamo Ausnahmen, oder gab es solche Zustände auch in anderen Gefängnissen? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Zumindest hatte er sie verschont.
Opfer Nummer sechs, Caine Warshovsky, Kampfname: Bad to the Bone. Stand er exemplarisch für das Versagen des amerikanischen Soldaten im Irak, für das Ausleben der niedrigsten Triebe eines Menschen, ohne eine Bestrafung fürchten zu müssen? Das Midtown Massacre ließ einiges befürchten.
War die Aktion damit beendet, fragte sich Levy, oder stand der nächste Anschlag bevor?
Falls ja, gegen wen würde er sich richten?
»Mutig, mutig«, sagte Aaliyah und zollte der Rede Weingartens Respekt.
Levy war ganz in seinen Überlegungen versunken und hatte nicht
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