Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
rechte. Sie stolperte und fiel auf ihren Hintern, und als die größere der beiden Rothaarigen auf mich zukam, schoss ich so schnell mit erhobenen Fäusten auf sie zu, dass sie wie angewurzelt stehen blieb.
»Sara Jane«, sagte Gina leise, und ihre Stimme klang gepresst vor Angst.
Ich fuhr herum und sah, dass Miss Raupe mit ihrer rot geschlagenen Nase ein kleines Messer in der Hand hielt, das aussah wie ein kleiner Eiszapfen aus Stahl.
Sie betastete ihr Gesicht, sah dann auf ihre klebrigen Finger und sagte: »Du kleine Schlampe, ich blute.«
Ich hörte die Wahrheit in meiner Stimme und fühlte sie in meinem Blick, als ich erwiderte: »Das ist erst der Anfang. Wenn du jetzt noch einen Schritt mit diesem Messer machst, dann hau ich dir so eine rein, dass aus deiner einen Augenbraue zwei werden. Nicht, dass ich das will. Aber ich werde es tun.« Meine Fäuste ballten sich, und mein Körper war entspannt, denn ich war ein guter Boxer – vielleicht sogar besser als gut und ein Naturtalent, wie Willy immer sagte. Wenn sie sich bewegt hätte, wäre ich bereit gewesen. Wir versuchten, uns gegenseitig niederzustarren, bis Miss Raupe schließlich schluckte, die Augen senkte und das Messer wieder wegsteckte.
»Ach, lassen wir die beiden. Die sind es nicht wert«, sagte sie mit schwankender Stimme und zog mit den beiden Rothaarigen im Schlepptau ab.
Gina und ich wurden ganz still und sahen ihnen nach, bis Gina sagte: »Was war das denn gerade?«
»Sie haben es sich wohl anders überlegt«, sagte ich und forschte in mir nach der kühlen Flamme, die ausgegangen war, ohne dass ich es gemerkt hatte.
Sie sah mich mit ihrem typisch überlegenen Gina-Blick an. »Du meinst, du hast sie dazu gebracht. Du bist schon komisch, Sara Jane. Weißt du das? Aber auf eine gute Art.«
»Tja, danke für das Kompliment.«
»Oh Mann, ich kann es nicht erwarten , das hier zu erzählen!«, rief sie aus und spuckte noch ein bisschen Blut aus.
»Nein, Gina«, betonte ich, nun meinem anderen natürlichen Impuls folgend, nie im Mittelpunkt stehen zu wollen. »Weißt du, nachher kommt das meinen Eltern zu Ohren. Die wären total sauer, wenn sie wüssten, dass ich mich auf der Straße geprügelt habe. Bitte, kann das unser Geheimnis bleiben?«
Sie seufzte und fasste sich an die violette Lippe. »Na gut. Ich denke, ich schulde dir was, wo du mich schon gerettet hast wie so eine Art Supergirl.«
»So ist das nicht«, sagte ich und schüttelte den Kopf. Ich dachte an die Lektion, die ich dank Uh-Oh auf die harte Tour gelernt hatte, dass es nämlich eine Zeit zum Kämpfen und eine Zeit zum Abhauen gab. »Es ist nur so … ich habe zufällig gelernt, wie man boxt.«
Das stimmte, und dafür konnte ich mich bei Onkel Buddy bedanken, denn immerhin war er es gewesen, der mich mit diesem Sport vertraut gemacht hatte. Tatsächlich gab es einmal eine Zeit, in der ich Onkel Buddy für vieles zu danken hatte. Er war immer für mich da und hörte mir immer zu.
Manchmal sogar mehr als meine Eltern.
Meine Mutter ist Lehrerin, und sie hält es mit der Maxime, dass Wissen aller Art, ob akademische Bildung oder das, was man im Leben lernt, Macht bedeutet. Onkel Buddy machte sich diese Philosophie zu eigen und pervertierte sie, indem er versuchte, aus mir Informationen herauszuholen. Er hörte mir zu, aber nicht ohne Hintergedanken, denn er hoffte, Dinge über meine Eltern zu erfahren, von denen ich gar nicht merkte, dass ich sie ihm verriet; manchmal frage ich mich, ob ich unwissentlich sogar Dinge preisgab, die später zu ihrem Verschwinden führten. Es gibt – oder vielmehr, es gab – vieles, für das ich Onkel Buddy dankbar sein muss, aber inzwischen hat Verrat meine Dankbarkeit versiegen lassen.
Verdammt, ich hasse ihn wirklich.
Hassen ist noch nicht einmal stark genug.
Mich erfüllt ein Gefühl von Hass, in dem Angst um mein Leben mitschwingt und mich zittern lässt, wenn ich seinen Namen höre.
Ich bin mir sicher – oder zumindest sicher genug –, dass er meine Familie hinterlistig verraten hat. Unabhängig davon, ob sie noch leben oder nicht, eins steht fest – in dieser einen, regnerischen Nacht vor kurzer Zeit hat sich alles verändert. Und ich habe mich auch verändert. Bevor meine Mutter, mein Vater und mein kleiner Bruder verschwanden, war ich jemand, der mit dem Hintergrund verschmolz – in der Schule, in der Gesellschaft anderer Kinder, in der Nachbarschaft – und alles daransetzte, um nicht aufzufallen. Das entsprach meinem damaligen
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