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Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. M. Goeglein
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könnte – man hat die einzelnen Teile vor sich liegen und sieht ein Paar durchdringender, blauer Augen, aber keinen Kopf, oder man sieht eine Hand, aber keinen Arm, oder das kluge Lächeln eines Jungen, aber nicht den Jungen selbst. Keinen Vater, keine Mutter, keinen kleinen Bruder. Nur Bruchstücke und Scherben, die nicht zusammenpassen, weil das Leben eines Menschen, wie Miss Ishikawa und Shakespeare uns lehren, nicht nur aus der Gegenwart besteht. Es setzt sich zusammen aus Scheibchen toter Zeit, verblassenden Erinnerungen und vor langer Zeit geflüsterten Gesprächen. Und daher seziere ich jetzt die Vergangenheit wie ein forensischer Pathologe, untersuche sie auf Hinweise auf mein zerstörtes Zuhause und auf meine Familie, die aus der Welt der Lebenden herausgerissen wurde.
    Das Schreckliche, das ihnen geschah, passierte nicht im luftleeren Raum.
    Es war kein aus der Flugbahn geratener Meteorit oder ein übernatürliches Ereignis, das unser Leben vernichtete und mich zu einem Leben auf der Flucht zwang.
    Es geschah, weil vorher andere schreckliche Dinge geschehen sind. Ich bin fest entschlossen herauszufinden, worum es sich handelt, und am besten fange ich damit an, einen genauen, ehrlichen Blick auf meine Familie zu werfen.
    Mein Großvater väterlicherseits war Enzo Rispoli, ein kleiner Mann der leisen Töne, der den Familienbetrieb leitete, die Feinbäckerei Rispoli & Sons. Grandpa hatte viele Spitznamen. »Enzo der Bäcker«, natürlich, und »Enzo der Biscotto«, was mir am besten gefiel, denn biscotto heißt auf Italienisch »kleiner Keks«, und daran erinnerte er mich auch – an ein kleines, süßes Stück Gebäck. Gelegentlich wurde er von Männern, die so leise sprachen, dass nur Grandpa sie verstehen konnte (und die ich deswegen die »Nuschelmänner« nannte), »Enzo der Boss« genannt, was mich verwirrte, denn die einzigen Leute, denen er überhaupt jemals etwas vorzuschreiben schien, und auch das nur ganz zurückhaltend, waren mein Vater Antonio, den alle Welt Anthony nennt, und sein jüngerer Bruder Benito, allgemein als Buddy bekannt.
    Onkel Buddy verabscheue ich zutiefst.
    Und das ist komisch, denn früher habe ich ihn einmal richtig gern gehabt.
    Damals, das kann ich nicht leugnen, war mein Onkel mein bester Kumpel, und auch der meiner Eltern – zumindest schien es so. Onkel Buddy war immer mit dabei, denn, wenn man mal ehrlich war, hatte er kaum ein eigenes Leben. In alten Filmen hört man manchmal einen jiddischen Ausdruck, der ihn ganz gut beschreibt – schlub . Während mein Vater groß und dünn war, war er klein und untersetzt, und während mein Vater elegant und lustig war, war er ungeschickt und immer ein bisschen verlegen, und er lachte zu laut in den falschen Momenten. Onkel Buddy aß wie ein Scheunendrescher, schaufelte die Pasta nur so in sich hinein und bekleckerte sein Hemd dabei mit roter Sauce. Er rauchte ununterbrochen, stand auf unserer Veranda und qualmte auf eine so angespannte, verzweifelte Art, als sei er sauer auf die Zigaretten. Abgesehen von meiner Familie hatte er kaum Leute um sich, er hatte keine richtigen Freunde und auch nie eine Freundin. Zwar neigt meine Familie dazu, eng zusammenzuglucken und vor allem Freundschaften innerhalb der Familie zu pflegen, aber Onkel Buddy war in dieser Hinsicht extrem. Er verströmte ein geradezu greifbares Gefühl von Einsamkeit, aber eine nervige Art von Einsamkeit, als ob er immer etwas ganz Bestimmtes im Sinn hatte und es ihm nicht nur darum ging, gemocht zu werden.
    Meine Eltern erzählen gern und am liebsten immer abwechselnd eine alte Familiengeschichte, die davon handelt, wie sie sich kennengelernt haben. Meine Mutter arbeitete in einem Kaufhaus als Handmodell, das heißt, sie führte Diamantringe vor, und dabei wurde mein Vater auf sie aufmerksam. Er fragte sie sehr weltgewandt, ob er einen bestimmten Ring sehen dürfte, inspizierte ihn dann genau, und als er ihn dann wieder auf ihren Finger schob, fragte er: »Wollen Sie mich heiraten?« Monate später reiste er mit ihr nach Italien, um dort noch einmal richtig um ihre Hand anzuhalten, und er ließ in einem kleinen Bergdorf namens Ravello einen Ring für sie anfertigen. Es ist ein goldener Siegelring mit einem hervorgehobenen R aus winzigen, harten, funkelnden Diamanten, und am Ende der Geschichte dreht sie diesen Ring immer an ihrem schönen Finger und sagt, sie hätte auch schon beim ersten Mal, als Dad sie fragte, Ja gesagt, wenn er nicht so fürchterlich von sich

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