Colorado Saga
Herefords?«»Na ja«, antwortete der junge Rancher in leicht ironischem Ton, »sie sagen die Wahrheit, aber sie sind nicht verpflichtet, die ganze Wahrheit zu sagen. Sieh dir mal diese Aufstellung an.« Er holte einen Bogen Papier aus der Tasche, der diese ganze Wahrheit in harten Zahlen zusammenfaßte: Herefordkuh-Charolaisstier. Die Kälber so groß, daß sie nur mit Kaiserschnitt geboren werden konnten -fünfzehn Prozent. Die Kälber so groß, daß sie nur mit ärztlicher Hilfe geboren werden konnten - neunzehn Prozent. Kälber, die tot geboren wurden oder kurz nach der Geburt verendet sind - vierzehn Prozent.»Das bedeutet«, erläuterte Skimmerhorn, »daß man beim Verkauf der Rinder wohl einen höheren Gewinn erzielt, den aber letzten Endes der Tierarzt einsteckt. Und da habe ich mir gedacht, wenn ich schon so hart arbeiten muß, um den Veterinär zu bezahlen, warum dann nicht Rinder halten, die ich wirklich mag?« Nachdenklich drehte er sein Glas in der Hand. »Es ist nicht schlecht gelaufen mit den Charolais. Ich kann mich nicht beklagen, und ich werde auch ein paar von diesen großen Burschen behalten... als Aufputz sozusagen. Aber wenn ich mir deine dreißig Hereford-Stiere auf meine Ranch hole und mir in Nebraska eine Anzahl guter Kühe besorge, dann... ja dann werde ich wieder das Gefühl haben, ein ehrlicher Mann zu sein.«»Darauf wollen wir trinken«, sagte Garrett.
Am letzten Novembertag wurde Paul Garrett durch den Ruf eines Cowboys aus dem Schlaf gerissen. »Die Simmentaler sind da!«Vor der Scheune standen die Viehwagen, die dreißig rot-weiße Stiere nonstop aus
Montana gebracht hatten. Zuerst widerstrebte es Garrett, die Tiere mit ihrem neuen Zuhause vertraut zu machen, denn sie waren Eindringlinge auf diesem Land der Herefords, aber dann schämte er sich seiner Bedenken. »Ich habe mich nun einmal entschlossen, es mit den Simmentalern zu versuchen, und da wollen wir auch gleich richtig anfangen«, sagte er zu mir und ging hinunter, um beim Ausladen zu helfen.Die neuen Stiere waren groß und schwer, aber auch schlaff und schlapp. Sie ähnelten mehr Milchkühen als HerefordBullen. »Mach schön muh, Kuh!« spöttelte einer der Cowboys, doch als er den Boß sah, wollte er sich davonmachen.»Pete!« rief Garrett ihn zurück. »Komm her! Sie mögen nach Muh-Kuh aussehen, aber sie werden dir deinen Lohn zahlen. Also erweise ihnen gefälligst ein bißchen Respekt!«So wurden die Simmentaler ausgeladen, und Garrett sah, daß Grebe ihm dreißig kräftige Stiere geschickt hatte. Sie würden sich auf dem Crown-Vee-Land wohlfühlen, und in ein oder zwei Jahren würde vielleicht auch der Rechnungsabschluß besser aussehen. Doch als die Tiere auszogen, um von dem Land Besitz zu ergreifen, das ein Jahrhundert lang unter dem Hufschlag der Herefords erbebt hatte, begann er sich hundeelend zu fühlen. Nachmittags fuhr er allem nach Centennial in die Bar des Railway-Arms-Hotel. Je mehr er trank, desto mehr bedrückte ihn das Schicksal Centennials. Nach hundert Jahren Wohlstand ging die Stadt jetzt zugrunde. Die Zuckerfabrik, die Viehhöfe, die Hereford-Zucht - die alte Lebensordnung löste sich auf.Er knallte sein Glas auf den Tisch und sprach zu einem Fremden, der neben ihm saß. »Das war eine schöne Stadt, eine feine Stadt«, fuhr er ihn an. »Wußten Sie, daß Edwin Booth in unserem Theater aufgetreten ist, und Sarah Bernhardt? William Jennings Bryan war zu Besuch hier, und James Russel Conwell und Anstide Briand.« Der Mann war mit diesen Namen offensichtlich nicht vertraut und drehte sich zur Seite.Ein Güterzug, einer der wenigen, die noch durch Centennial durchkamen, ließ seinen klagenden Pfiff ertönen und erweckte neue Erinnerungen in Garrett. Er stand auf, ging zu dem Fremden hinüber und sprach eindringlich auf ihn ein: »Hören Sie das, mein Freund? Das ist die Union Pacific. Ich erinnere mich noch an den Tag, vierunddreißig Jahre sind es jetzt her, als Morgan Wendell... im Januar tritt er sein Amt an...«Seine Sätze zerrannen, aber nicht seine Erinnerungen. Er ging auf die Veranda hinaus, und die kühle Luft rief ihm jenen fernen Tag ins Gedächtnis zurück. Morgan Wendell war auf die Ranch gekommen. »Hast du Lust?« hatte er gefragt. »Wollen wir ihn uns heute ansehen?« Und dann waren sie ein paar Meilen den Platte entlang nach Osten gewandert, bis sie ihr Ziel erreichten. Dort hatten die beiden Zwölfjährigen eine Weile gewartet und sich die Zeit vertrieben, indem sie flache Steine über
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