Columbus war ein Englaender
des Abendgebets eine nicht ganz so steife Komplet. Sonntags findet weder Sport noch Unterricht statt, dafür aber muß jeder sich für vorgeschriebene zwei Stunden auf sein Zimmer zurückziehen, um sich den sogenannten Sonntag-E zu widmen, kurz für Sonntags-Exerzitien, zweifellos in der Absicht eingeführt, den Glauben, die Gesundheit und die innere spirituelle Reinheit der Schüler zu fördern. Während des Tages im Haus darf man mehrmals zur Namensverlesung antreten, was man aus Kriegsgefangenenfilmen als Appell kennt. Der Hauspräfekt liest die Namen sämtlicher Jungen vom ältesten an abwärts vor, und jeder Aufgerufene hat mit »Hier« zu antworten. Man mag dabei an Rowan Atkinsons genialen Direktoren-Sketch denken oder an Giles Coopers beklemmendes Theaterstück, das später mit David Hemmings verfilmt wurde und dessen Titel aus den letzten drei Namen auf der Liste bestand ... Unman, Wittering and Zigo .
Nun denn. Wer immer noch mehr erfahren will und an den Buddhismus glaubt, sollte ein möglichst ausschweifendes Leben führen, um anschließend als englischer Mittelschichtsknabe in den fünfziger Jahren wiedergeboren zu werden: Da erfährt man dann alles aus erster Hand.
So, und nun zurück zu Tag Zwei, Drittes Semester.
Ich hatte meine Sachen für den Vormittagsunterricht in meiner Schultasche verstaut und trat mit Jo Wood aus unserem Zimmer auf den Flur, der auf den Pfad führte, der in die Straße mündete, die zur Schule führte.
An unserem Ende der Stadt gab es vier Häuser, darunter Brooklands und Highfield. Brooklands lag noch weiter vom Dorfzentrum entfernt, sogar so weit, daß es einen eigenenSwimmingpool besaß. Meinem Haus Fircroft gegenüber lag The Middle, die riesige Sportfläche, von der bereits die Rede war, und gleich daneben thronte Highfield, so benannt, weil es auf einem Hügel und am Rande eines Felds lag. Das vierte Haus lag ein Stück weiter hügelabwärts, näher zum Dorf und zur Schule, und dieses Haus wollen wir Redwood’s nennen.
Redwood’s existiert nicht.
Es gibt kein Haus zwischen Highfield und dem Fuß des Hügels. Niemand soll durch irgend etwas in diesem Buch verletzt, gekränkt oder in Verlegenheit gebracht werden. Alles, was ich schreibe, ist meiner Erinnerung nach wahr, aber diese Wahrheit wird nicht ohne Taktgefühl und die Anerkennung der Tatsache dargeboten, daß sich die Realität oftmals sehr viel besser durch Fiktion als durch ein nüchternes Aufzählen der Fakten darstellen läßt. Das betrifft sowohl eine Reihe von Namen wie auch die Schauplätze, den Aufbau und die Gestaltung einzelner Episoden. Ich glaube nicht, daß der Leser stets sagen kann, welche Episoden und welche Schauplätze fiktiv sind, und das soll er auch gar nicht. Nachdem er mir bis hierher gefolgt ist, darf er mir getrost glauben, wenn ich ihm versichere, daß es zwar einzelne Veränderungen, nicht aber Übertreibungen und billige Effekthascherei gibt. Wäre dem nicht so, könnte jeder meiner ehemaligen Mitschüler bei gewissen Szenen und Ereignissen, wie gut getarnt auch immer, unmittelbar die Namen der dahinterstehenden Personen erkennen, und das wäre entschieden unfair. Zwei Personen werden sich bei der Lektüre dieses Buches wiedererkennen, andererseits aber auch ihre Person so weit verfremdet sehen, daß niemand außer ihnen selbst das Geheimnis lüften kann.
Jetzt aber genug, Stephen – zurück zum eigentlichen Geschehen.
Es ist ein klarer Tag Mitte September, einer von jenen Tagen, die genau zwischen Sommer und Herbst liegen, an denen die Blätter zwar noch nicht in oktoberlichem Rot, Gold undGelb leuchten, aber ihr Grün bereits ein wenig angestoßen wirkt und nicht mehr das satte, saftstrotzende Grün des Hochsommers ist. Zum Trost haben die Augustschleier einem sanften Licht Platz gemacht, wie auch der leichte Fäulnisgeruch des Spätsommers verflogen ist und eine nach Nüssen und Rinde duftende Frische in der Luft liegt.
Der Unterricht beginnt selbstredend für alle Schüler zur gleichen Zeit, so daß wir aus Fircroft beim Einbiegen auf die Straße auf einen Strom Brooklander treffen, die ebenfalls unterwegs zur Schule sind, während von der anderen Seite ein Schwarm aus Highfield auf die Straße drängt, da es zu beiden Seiten keinen Bürgersteig gibt. Weiter hügelabwärts stößt noch ein Trupp aus Redwood’s dazu, so daß ein Betrachter, der zur rechten Zeit vom Zentrum in Uppingham die abfallende London Road hinabblickt, ein Drittel der Schülerschaft auf sich
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