Columbus war ein Englaender
mehr die gleiche Farbe, der Mond nie mehr die gleiche Form haben. Die Luft sollte anders riechen, das Essen anders schmecken. Jedes Wort erhielt eine neue Bedeutung, alles, was zuvor fest und unumstößlich schien, war mit einem Mal so flüchtig wie ein Windhauch und jeder Windhauch so fest, daß ich ihn fühlen und mit Händen greifen konnte.
Genau hier fällt die Sprache weit hinter die Musik zurück. Wie kann ich den Akkord, den Max Steiner in dem Augenblick spielt, als Bogart zum ersten Mal Bergman in seiner Bar in Casablanca erblickt, in einem Buch aus schwarzen Lettern auf weißem Papier wiedergeben? Oder das Anschwellen und Aufwallen von Tristans Liebestod in Liszts Sonate in b-Moll – selbst Alfred Brendel könnte es diesem Keyboard nicht entlocken, diesem Buchstabenpiano unter meinen Fingern. Vielleicht könnte ich eine Playlist aufstellen, weil manche Dinge sich durch nichts so gut ausdrücken lassen wie durch Popmusik. Als erstes kämen die Monkees:
And then I saw her face, and now I’m a believer
Ach was, es hat keinen Zweck.
Es bleiben ja doch alles nur abgedroschene Worte auf kaltem Papier. Außerdem kennt jeder die Situation. Jeder war schon mal verliebt. Warum also in Hysterie verfallen? So ziemlich jeder Film, jedes Buch, jedes Gedicht und jeder Song erzählt doch eine Liebesgeschichte. Jeder ist also mit dem Genre vertraut, selbst wenn er zufällig (wobei ich der letzte wäre zu entscheiden, ob dies als ein glücklicher oder unglücklicher Zufall zu betrachten ist) noch keine persönliche Erfahrung besitzt.
Es war der erste Morgen des Wintersemesters zu Beginn meines zweiten Jahres in Uppingham. Nach dem Frühstück ging ich wie üblich auf mein Zimmer, das ich jetzt mit Jo Wood teilte, um meine Bücher und Schreibblocks zu holen, die ich für den Vormittagsunterricht brauchte. Unsere Schreibblocks besaßen ein spezielles Uppingham-Maß, kürzer und quadratischer als A4, und man konnte sie nur im Schreibwarenladen der Schule bekommen: Sämtliche Aufsätze, Notizen und sonstige Arbeiten mußten auf Bögen aus diesen Blocks geschrieben werden.
Der Tagesablauf einer Internatsschule sieht folgendermaßenaus: Morgens wird man vom Morgendiener geweckt. Nach dem Frühstück im eigenen Haus geht man zur Morgenandacht und von dort zum Unterricht und kehrt erst zum Mittagessen ins Haus zurück. Sämtliche Klassenräume, Versuchslabors und Turnhallen wie auch die Kapelle, die Aula und die Bibliothek befinden sich in unmittelbarer Nähe des Schulgebäudes. Nachmittags Sport (kotz!), dann zurück ins Haus zum Duschen (jetzt bloß nicht aufregen ...) und danach Nachmittagsunterricht in der Schule und ein (vielleicht letztes) Mal zurück zum Haus zum Abendessen. Nach dem Abendessen folgt eine kurze Pause, bevor eine Glocke ertönt, mit der alle jüngeren Schüler im Speisesaal zusammengetrommelt werden, um dort unter der Aufsicht des diensthabenden Präfekten still ihre Vorbereitungen (sprich Hausaufgaben) zu machen. Wer zu den Älteren gehört, darf seine Hausaufgaben auf seinem Zimmer machen. Anschließend wieder Freizeit, sofern man nicht aufgrund irgendeiner Missetat suspendiert ist (heute sagt man garantiert »gefickt« dazu, wie in »Dich haben sie aber schön ins Knie gefickt«), in der man zur Kunstabteilung oder zum Thring-Zentrum gehen kann (benannt nach dem Backenbart und ausgerüstet mit elektrischen Schreibmaschinen, Zeichentischen, einer Töpferwerkstatt und so weiter: Mittlerweile hat man daraus ein grandioses Medienzentrum gemacht, das den – für meinen Geschmack ziemlich ärmlichen – Namen Leonardo-Zentrum trägt, gestaltet nach den Plänen des ehemaligen Uppingham-Zöglings und heutigen Architekten Piers Gough, in dem sich ein komplettes TV-Studio, Computer und jede Menge elektronischer Schnickschnack befinden), oder man besucht eine Theateraufführung, ein Konzert, einen Vortrag, geht zu einer Theater-, Chor-, Band- oder Orchesterprobe, zum Schach-Club, Judo-Club, zum Dichter-Lesekreis, zum Club der Insektenfreunde oder nach welcher Zusammenkunft Gleichgesinnter auch immer einem gerade der Sinn steht. Danach wieder zurück ins Haus zum Abendgebet unter derLeitung des Hausvorstehers oder des Haustutors, eines Lehrers, der noch kein eigenes Haus hat und gelegentlich als Vertretung für den Hausvorsteher einspringt. Zuletzt noch, nicht zu vergessen, Kakao, süße Brötchen, Kekse, und dann ab in die Falle – und am nächsten Tag das gleiche wieder von vorn. Samstags gibt’s anstelle
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