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Columbus war ein Englaender

Columbus war ein Englaender

Titel: Columbus war ein Englaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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schien: »Nun denn. Dann wollen wir mal wieder. Neues Spiel, neues Glück.«
    Er drehte sich um.
    Er drehte sich zu mir um.
    »Entschuldigung ...«
    Eine Stimme, die ... sie hatte den Stimmbruch noch vor sich, besaß aber eine Rauheit, die sie nicht wie eine fiepsige Kinderstimme klingen ließ. Im Chor würde er Alt singen.
    »Kann ich helfen?« fragte ich in der höflichsten, zuvorkommendsten, charmantesten, lockersten und aufmunterndsten Art, in der diese Worte je ausgesprochen wurden.
    Dabei blickte ich zum ersten Mal in seine Augen. Sie waren blau, kein helles, sondern ein dunkles Blau. Nicht so dunkel wie ein Saphir, aber auch nicht porzellanblau. Es war ein romantisches Blau. Ein lyrisches Blau. Wie ein See, auf dessen Oberfläche ich mich treiben ließ.
    »Ich überlege gerade ...«, sagte er, »wo der West Block ist?«
    Nicht zu vergessen, es war sein erster Tag. Sein erster Tag an der Schule, und mein erster Tag im Leben.
    »Du brauchst dich nur umzudrehen«, sagte ich, überrascht, wie ruhig meine Stimme war und wieviel Selbstsicherheit und Stärke von ihr ausging. »Denk an Colditz, denk an Lubjanka, und dort drüben siehst du: West Block. Hast dort Unterricht, wie? Erste Stunde nach der Andacht?«
    Ich betrachtete, wie sein Haar hinten in den Nacken fiel und kurz vor dem Hemdkragen aufhörte, wie sich einzelne Strähnen nach innen und oben wanden, so daß ich für einen Moment an einen knabenhaften mittelalterlichen König denken mußte. Darunter zog sich ein Keil feinen Flaums im Fischgrätmuster den Nacken empor.
    »Jesus Christus, steh mir bei«, jammerte ich im stillen. »Herr Jesus Christus, steh mir bei.«
    Er drehte sich um und sah wieder zu mir auf. Tatsächlich, er war kleiner als der Durchschnitt, aber nicht zerbrechlich . »Und da drüben geht man rein, oder?« Welch köstliche karamelzuckrige Heiserkeit entstieg seiner Kehle.
    Jetzt bloß nicht ohnmächtig werden, flehte ich. Ich folgteder Richtung seiner ausgestreckten Hand und nickte. Schon bei der simplen Geste seines Arms riß und zerrte etwas in meiner Brust, das dort eingesperrt war und herauswollte.
    »Bei wem hast du denn?« fragte ich.
    »Finch. J. S. Finch, nicht wahr?«
    »Auweia! Französisch oder Deutsch?«
    »Französisch.«
    »Aha, ich hab bei ihm Deutsch. Viel Glück, kann ich da nur sagen ...«
    »Wie ist er?« Ich sah, wie sein Blick sich sorgenvoll verfinsterte, und registrierte mit überschwenglicher Freude, daß mein Lächeln ihn umgehend wieder aufhellte.
    »Na ja, er ist ganz okay. Er brüllt und schreit und flucht, aber er ist schon okay. Du bist aus Redwood’s, oder?«
    »Woher weißt du das?« Seine prompte und direkte Frage konnte fast schon als vorwitzig gelten. Neuanfänger drucksten gewöhnlich mit jeder Menge »Ähs« und »Ahs« und »Entschuldige vielmals« herum, wenn sie Älteren eine Frage stellten. Aber mir gefiel seine unbekümmerte Art. Sie hatte nichts Unverschämtes. Sie war einfach nur ... direkt. Von Mensch zu Mensch. Er wollte wissen, woher ich es wußte, also fragte er kurzerhand danach.
    Ich deutete mit meinem Kopf in Richtung seines Turnbeutels im vorgeschriebenen Marineblau, der mit einem Stoffstreifen in der Farbe zermanschter Erdbeeren abgesetzt war. »Deine Hausfarben erklären alles«, sagte ich, während ich meinen Blick weiterschweifen ließ und hinzufügte: »Siehst du den da? Gelber Streifen. Das ist Fircroft, und der da drüben ...«
    Ein wuchtiger Schlag knallte auf meinen Rücken. »Fry, du Wichsgriffel, schon gesehen, wir sind im gleichen Lateinkurs.«
    Gunn aus School House: Hielt sich für unglaublich clever und intelligent. Ich empfand für ihn jene aufrichtige Verachtung, mit der wir jene strafen, die uns auf unangenehme Weise ähnlich sind.
    »Aber ich dachte, ich wäre im A-Kurs!« rief ich mit gespielter Entrüstung. »Wie kommt’s, daß man mich zu den Flachpfeifen gesteckt hat?«
    Scheiße! Er hatte meine plumpe Beleidigung mitbekommen und würde seine Schlüsse daraus ziehen. Er würde mich für arrogant halten. Ich drehte mich zur Seite, aber er war verschwunden. Ganz herumfahrend, sah ich ihn gerade noch um die Ecke zum Hintereingang der Kapelle verschwinden.
    »Verknallt, wie? Wo zum Teufel hast du den denn aufgetan?«
    »Wen?«
    »Ach komm, Fry«, sagte Gunn mit gemeinem überheblichem Grinsen. »Dafür, daß du ein so ausgezeichneter Lügner bist, ist das ziemlich kläglich.«
    In der Kapelle saßen jeweils die Jungen eines Hauses zusammen. Jedes Semester wechselten

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