Das höllische Ich
Lou Ganzaro wartete auf seine Chance. Er hatte sich in den Backstage-Bereich geschlichen. Das war sogar recht einfach gewesen, denn Amy White war noch nicht so berühmt wie andere Popgrößen. Deshalb wurde sie auch nicht von einer Schar von Leibwächtern bewacht. Sie war mehr ein Insider-Tipp und konnte sich noch auf der Straße bewegen, ohne alle zwei Minuten erkannt zu werden.
Das Event fand in einer Fabrik statt, die umgebaut worden war. Die Verladerampe von früher war zur Bühne geworden, die von zwei gewaltigen Lautsprechern flankiert wurde, aus denen dieser infernalische Lärm dröhnte. Manche empfanden die Musik eben als einen solchen, aber die waren weit über 20 Jahre alt. Die jungen Fans sahen das anders, obwohl sie besser auf ihr Trommelfell achten sollten, das sich so mancher Besucher schon in jungen Jahren zerstört und einen Hörschaden behalten hatte.
Das alles kümmerte Lou Ganzaro nicht. Er sah nicht aus wie ein Killer. Jeans, ein langes buntes Hemd mit Hawaii-Motiven als Aufdruck. Haare, die nur noch als Schatten auf dem Kopf wuchsen, weil sie so kurz geschnitten waren. Weiche Schuhe an den Füßen, die eine Gummisohle besaßen, sodass er sich fast lautlos bewegen konnte. Ein schmales Gesicht mit einer recht hohen Stirn und breiten Wangenknochen. Einfach nur Durchschnitt. Nicht mehr und nicht weniger. Niemand sah ihm an, welch ein Fieber in ihm brannte, das besonders sein Gehirn erfasst hatte.
Er wollte ein Zeichen setzen. Er wollte zeigen, zu was er fähig war. Er musste es tun, denn er war dazu ausersehen worden, die Welt auf den Kopf zu stellen.
Und er hatte sich die richtige Zeit ausgesucht, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. In wenigen Minuten würde Pause sein. Dann würde Amy White von der Bühne kommen, in ihre Garderobe gehen und sich ausruhen. Glücklicherweise nicht mit ihrer Band zusammen. Deren Mitglieder hielten sich in dieser Zeit woanders auf.
Ganzaro wusste genau, wo sich die Garderobe befand. Ein Bodyguard stand nicht davor. Es gab natürlich welche. Nur hielten die sich während des Konzerts nahe der Bühne auf, um irgendwelche zu wilden Fans abzuwehren, die es nicht lassen konnten, sich ihrem Idol zu nähern.
Amy kreischte weiter. Die vier Mitglieder der Band gaben ebenfalls ihr Bestes, aber in dem grauen Rückzugsbereich, in dem sich Ganzaro befand, hielten sich die Geräusche in Grenzen.
Um dem Ganzen ein wenig Charme zu geben, klebten an den Wänden Plakate. Es gab auch selbst ernannte Künstler, die es nicht hatten lassen können, und deshalb waren die Wände beschmiert worden.
All das interessierte den Killer nicht. Er wollte in die Garderobe der Sängerin. Es war die letzte Tür vor der mit der Aufschrift Ladies. Soviel er wusste, war sie nicht verschlossen, und so würde er problemlos ein treten können.
Vor der Tür blieb er stehen. Er schaute sich sicherheitshalber noch mal um, aber es gab keinen Menschen, der ihn beobachtet hätte. Er war allein. Ob die Garderobe wirklich leer war, konnte er nicht sagen. Vielleicht wartete dort eine Freundin oder ein Freund. Traf das zu, dann hatte diese Person eben Pech gehabt.
Lou Ganzaro öffnete die Tür.
Bislang war es sehr schnell gegangen, und ebenso schnell ging es bei ihm weiter. Mit einem langen Schritt betrat er den Raum, in dem es nach Popcorn und Schminke roch.
Leider war er nicht leer.
Auf einem Stuhl hockte eine Frau mittleren Alters und las in einem Buch. Sie war so in den Inhalt vertieft, dass sie erst aufschaute, als Ganzaro schon fast bei ihr stand.
»Wer bist du?«, fragte Lou.
Die Frau war weiterhin so überrascht, dass sie wie ein Sprechautomat antwortete. »Ich bin Amy’s Agentin.«
»Wartest du auf sie?«
»Ja.« Erst jetzt registrierte die Frau, dass etwas nicht stimmte. Sie schaute hoch, und in ihren Augen stahl sich dabei ein misstrauischer Ausdruck. Sie schien zu merken, dass der Eindringling nicht zu dieser Gesellschaft der Fans gehörte, und sie wusste auch, was ihre Pflicht war.
Sie stand auf, das Buch fiel zu Boden. »Was erlauben Sie sich, hier einzudringen? Dieser Raum ist für Sie tabu. Machen Sie sofort kehrt, oder ich alarmiere den Sicherheitsdienst.«
»So? Tust du das?«
»Ja!«
»Dein Pech!«
Ein scharfer tiefer Atemzug. Die Frau wurde sauer. Sie wollte den Typen anfahren, als dieser sein buntes Hemd anhob, nach hinten griff und eine Waffe unter dem Gürtel hervorzog. Den Schalldämpfer hatte er zuvor bereits aufgeschraubt.
Die Frau starrte auf den klobig wirkenden
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