Columbus war ein Englaender
verpfuscht hätte. Herablassend erwiderte ich, »Sind wir für die Götter« sei bereits ein metrischer Ausfall, mit seinen sechs Silben und einem verhunzten Jambus. Meiner Meinung nach sei Shakespeare nur zu feige gewesen, die Verse in der metrisch korrekten Form aufzuschreiben:
Was Fliegen sind für übermüt’ge Kna ben
Sind wir für Gott : Er tö tet uns zum Spaß .
– worauf Stokes zutreffend entgegnete, der Singular Gott würde, einmal abgesehen davon, daß Shakespeare sich großen Ärger mit der Zensur eingehandelt wie auch die heidnische Atmosphäre des Stücks und Glosters Gedankengang zerstört hätte, auch das Bild selbst durch den unpassenden Plural »Knaben« stören – oder hätte der Autor den Rhythmus ein weiteres Mal durch
Was Fliegen sind für den übermüt’gen Knaben
Sind wir für Gott
ruinieren sollen? Außerdem war es für einen Schauspieler gar kein Problem, »für die« wie eine Silbe klingen zu lassen.
Ich räumte ein, der alte Shakespeare werde schon gewußt haben, was er da veranstalte, und der Unterricht wurde fortgesetzt, während ich meinen eigenen Gedanken nachhing.
Wo würde er zur Pause hingehen? In die obere oder die untere Kantine? Ob jemand ihm von Lanchberrys vorzüglichen Cremeschnitten erzählt hätte?
Auf dem Weg dorthin untersuchte ich jeden Blondschopf.
Das Schicksal kann in seiner grausamen, teilnahmslosen Art zuweilen auch den Liebenden gnädig sein. Für die Götter sind wir wahrhaftig nichts anderes als Fliegen in den Händen übermütiger Knaben. Sie halten ein Brennglas über uns und sind begeistert, wenn wir unter den gebündelten Sonnenstrahlen knisternd verkokeln; sie stampfen auf uns, zerquetschen uns, zermalmen uns zu Brei oder stopfen uns in Einmachgläser, um uns an ihre Lieblingsreptilien zu verfüttern.
Ich sah, wie er die Treppe zur unteren Kantine herunterkam. Er redete mit einem Jungen aus seinem Haus. Einem Jungen, den ich kannte! Nick Osborne war in meinem Deutschkurs, in meinen Augen ein ausgemachter Schleimscheißer, aber jetzt war er schon immer mein bester Freund.
Ich drängelte mich an den anderen vorbei, ohne mich um die Flüche zu kümmern oder die Tritte und Schläge zu spüren, die ich mir dabei einhandelte.
»Osborne!« rief ich laut.
Er drehte sich um. Beide drehten sich um. »Ach, Fry«, sagte Osborne. »Darf ich vorstellen, mein Bruder«, fügte er hinzu, mit einer müden Handbewegung auf den jungen Gott weisend.
Sein Bruder. Sein Bruder! Sein-Bruder-sein-Bruder-sein-Bruder.
»Tag«, sagte ich mit der beiläufigen Höflichkeit, die man an den Tag legt, wenn man dem unbedeutenden kleinen Bruder eines Freundes vorgestellt wird. »Ach«, setzte ich hinzu, »hattest du heute morgen nicht bei Finch?«
Er nickte mit schüchternem Lächeln. Er schien geschmeichelt, daß ich ihn unter den ganzen Neulingen wiedererkannte.
»Ach, Finch «, sagte Nick. »Ich hab Matthew gesagt, wegen dem braucht er sich keinen Hals zu machen.«
Matthew also.
Matthew Osborne. Matthew Osborne. M. O. Mein Odem. Meine Oase. Mysteriöser Opal. Magisches Objekt.
Matthew. Natürlich Matthew, ich wußte es. Wie könnte er auch anders geheißen haben? Lächerlich, an so viele andere Namen gedacht zu haben. Matthew. Matthew war von Anfang an richtig.
»Also«, fuhr Nick fort. »Das ist die untere Kantine. Wir müssen auf dieser Seite bleiben. Nur die aus der Fifth und Sixth Form dürfen hinter die Trennwand. Bis dann, Fry«, warf er mir über die Schulter zu und schob seinen Bruder durch die Menge.
Was für ein Massel.
Nick Osbornes Bruder.
Und jetzt. Umorganisieren. Neue Pläne schmieden. Denk nach , Mann, denk nach.
Was gefällt uns an Nick Osborne?
Nicht viel. Er ist clever, das müssen wir ihm lassen. Aber er ist gut im Sport. Ein ausgezeichneter Sportler sogar. Wir hassen ausgezeichnete Sportler.
Was waren seine Hobbys? Wie konnte ich ihn als Freund gewinnen? Mit Nick konnte ich dick befreundet sein, er war in meinem Jahr, und er sah nicht besonders gut aus, so daß es kein Gerede geben würde.
Moment mal. Wie konnten die zwei denn Brüder sein?
Nick war fast so groß wie ich: Er mußte sich einmal die Woche rasieren. Er hatte dunkles, fettiges Haar. Zwar nicht unbedingt häßlich, aber da konnten unmöglich die gleichen Eltern dahinterstecken.
Das heißt, es gab da etwas, ein Blick, ein besonderer Ausdruck, ein leichtes Nicken des Kopfes beim Herumdrehen. Beide hatten das. Auch Nick hatte blaue Augen, aber ohne jene Lapislazulitiefe.
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