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Columbus war ein Englaender

Columbus war ein Englaender

Titel: Columbus war ein Englaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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mir auf, sowohl körperlich, weil ich einen Fuß größer war, als auch intellektuell, weil er fest davon überzeugt war, ich verfügte über Weisheit und Wissen, die ihm vorenthalten waren. Alle wußten, daß ich jede Menge Bücher verschlang und ein gutes Gedächtnis hatte. Er aber glaubte, mein Wissen verleihe mir Macht, obwohl er genau wie jeder andere sah, daß ich ständig immer mehr und immer größeren Ärger bekam: Natürlich konnte er nicht ahnen, daß ein Großteil davon mit ihm zu tun hatte oder daß ich mir genau in dieser Woche den bislang größten Ärger meines Lebens einhandeln würde.
    Bis heute hat sich an all dem nichts geändert. Genügend Leute wissen inzwischen, wie chaotisch mein Leben verlaufen ist, und trotzdem glauben sie entweder: »Prima gelaufenfür dich, Stephen, du hast alles im Griff«, oder denken, ich sei der Meinung, es sei prima für mich gelaufen und ich hätte alles im Griff, was beides nicht stimmt, sooft ich es auch herausbrülle und sooft es durch immer neue Geschehnisse belegt wird.
    Ausgangspunkt all dieser Gedanken waren meine Erinnerungen an Ronnie Rutters Herzensgüte und die Frage, ob er vielleicht sah , was mit mir los war. Vielleicht, so hatte ich überlegt, standen mir die erlittenen Liebesqualen fett und breit im Gesicht geschrieben.
    Man könnte dies als das große Dilemma meines Lebens bezeichnen. Genau zu dieser Zeit fing ich an, wie ein Verrückter Sätze und Wörter zu verdrehen. Das meiste davon war dummes Zeug, aber einmal entdeckte ich zu meiner großen Freude, daß man den Satz »Compromise is a falling between two stools« (Ein Kompromiß ist ein Platz zwischen zwei Stühlen) durch die einfache Umstellung dreier Buchstaben in »Compromise is a stalling between two fools« (Ein Kompromiß ist ein Patt zwischen zwei Dummköpfen) umwandeln konnte. Der Satz ist zu glatt und geschliffen (in einem negativen Sinn), um unterhaltsam oder originell zu sein, und taugt allenfalls als Beispiel für die seltsamen Möglichkeiten der Sprache, aber für mich sind die beiden Stühle, zwischen die ich mich gesetzt hatte und auch heute noch Tag für Tag setze, das beste Bild dafür, daß ich gleichzeitig durchsichtig und opak, ein einziges Rätsel und ein offenes Buch war und bin.
    Manchmal frage ich mich, welchem Zweck meine ganzen Verstellungskünste dienen, wenn so viele Freunde, Bekannte, Feinde (wenn ich denn welche habe) und sogar wildfremde Menschen meine sämtlichen Regungen, Gedanken und Gefühle durchschauen können. Dann wiederum frage ich mich, welchen Zweck meine Offenheit, Anteilnahme und emotionale Aufrichtigkeit besitzen, wenn die Leute mich fortlaufend so sehr mißverstehen, daß sie mich für ausgeglichen,harmonisch, aufgeräumt und ganz und gar im Einklang mit mir und meinem Schicksal halten.
    Meiner Vermutung nach erkannte Ronnie Rutter instinktiv, daß ich ein »unglückliches Kind« war, und nur sein übergroßes Taktgefühl und sein unerschütterliches Vertrauen in die Güte des Schicksals hinderten ihn daran, nach dem Wieso und Warum zu fragen.
    Matthew, der Quell all meiner Leiden wie all meiner Freuden, all meines Fühlens und all meiner Unfähigkeit zu fühlen, war gänzlich blind für meine verzehrende Sehnsucht nach ihm und besaß nicht die Vorstellungskraft, um erkennen zu können, daß mein ganzes Glück von ihm abhing, was ich ihm zum Vorwurf machte, ohne meinerseits zu erkennen, daß ich in einem Loch saß, das ich selbst ausgehoben hatte. Wie hätte er es auch nur erahnen sollen? Niemand weiß, was es heißt, geliebt zu werden, bevor er nicht selbst geliebt hat.
    So trieb ich denn hilflos im Strudel meines Wahns. Einerseits erwartete ich, daß man meine geheimen Sehnsüchte und Wünsche las, als wären sie mir auf die Stirn geschrieben, während ich andererseits davon ausging, daß niemand erkannte, was so klar und offensichtlich auf der Hand lag.
    Als ich ein Dutzend Seiten weiter vorn den Ausdruck »unerwiderte Liebe« schrieb, mußte ich lachen, weil mir zunächst ein Freudscher Versprecher an der Tastatur unterlief und ich »unerwünschte Liebe« tippte.
    Nachdem es mir zweimal selbst widerfahren ist, weiß ich, was für ein grausames Privileg es ist, zu sehr geliebt zu werden. Insofern war es vielleicht eine meiner größten Taten, Matthew nie wissen zu lassen, wie sehr er meinen inneren Frieden und mein Glück zerstört hatte. Immerhin war er später so ehrlich ... ach was, wir wollen nicht unfair sein.
    Der wirkliche Matthew Osborne

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