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Columbus war ein Englaender

Columbus war ein Englaender

Titel: Columbus war ein Englaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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nennen. Es macht etwas mit dem Satz, nur läßt sich nicht so genau sagen, was. Ich weiß aber, daß Mrs. Croote genausowenig »Ist die Natur nicht entzückend?« sagen konnte, ohne ein »wie« anzuhängen, wie unser unverbesserlicher Tony Blair die Frage eines Journalisten beantworten könnte, ohne seinen Satz mit »Sehen Sie« zu beginnen.
    Mr. Crootes zwei große Leidenschaften waren eine knallrote Robin Reliant und das Speedway-Team von King’s Lynn, was ihn und Ian stundenlang über Motorräder fachsimpeln lassen konnte, während ich Mrs. Crootes Kochkünste, gegenüber denen alle Sprache versagte, mit anerkennenden Geräuschen würdigte.
    Norcat bewegte sich mit beachtlichem Erfolg irgendwo zwischen Schule und Universität. Die Schule verfügte über fähige Lehrer in den Fächern Englisch, Französisch und Kunstgeschichte, bot aber neben A-Level-Kursen auch eine ganze Reihe von Blockseminaren und Abendschulkursen für Ausbildungsberufe in der Gastronomie, dem Maschinenbau und so weiter an. Die gemischte Schülerklientel war etwas gänzlich Neues für mich, auch wenn sich die sozialen Unterschiede nirgends bemerkbar machten. Entgegen meinen Befürchtungen wurde ich von allen akzeptiert, ohne daß man mich meine Mittelklasseherkunft spüren ließ.
    Nicht zu vergessen ist auch, daß es an der Schule jede Menge Mädchen gab. Mit zweien, Judith und Gillian, freundete ich mich schnell an. Judith schwärmte für Gilbert O’Sullivan und wollte Schriftstellerin werden. Sie hatte bereits eine Romanheldin nach dem Vorbild von Danielle Steele und Jackie Collins entwickelt, die Castella hieß, und las uns gelegentlich aus ihren Werken vor. Zu dritt kauften wir Terry Jacks’ einzigen Hit Seasons in the Sun , von dem wir hin und weg waren. Ich glaube , Judith ahnte, daß ich schwul war. Mit ihrer offenen, unkomplizierten Art und ihrer dichten roten Mähne war sie genau der Typ, zu dem schwule Männer problemlos Vertrauen gewinnen. Gillian hingegen wurde für kurze Zeit meine Freundin, auch wenn wir über Knutschen und Büstenhaltergefummel in der Disco nie hinauskamen.
    In King’s Lynn machte ich die Bekanntschaft einer außerordentlichen Gruppe von Intellektuellen, die sich regelmäßig in der Bar eines kleinen Hotels trafen und leidenschaftlich über das Werk von Frederick Rolfe, dem berüchtigten Baron Corvo, diskutierten. Allein die Tatsache, daß ich seinen Namen kannte, reichte zur Aufnahme in den Club. Die gemischte Runde, deren Wortführer ein Mann mit Brille namens Chris und ein mondäner halbfranzösischer Baron namens Paul waren, veranstaltete regelmäßig Paradox-Parties. Anstelle eines Codewortes oder einer Flasche wurde nur der eingelassen, der ein originelles Paradox präsentieren konnte. Paul, dessen Vater französischer Honorarkonsul war (King’s Lynn ist ein Seehafen), spielte begnadet Klavier und hatte ein besonderes Faible für avantgardistische Komponisten wie Alkan und Sorabji, konnte mich aber ebenso mit Liedern von Wolf und Schubert beglücken. Er wollte wie Corvo katholischer Priester werden, scheiterte aber wie Corvo an diesem Vorhaben. Anders als Corvo hingegen versank er darüber nicht in Bitterkeit und Haß, sondern wurde anglikanischer Priester, wo er ungeachtet seiner Herkunft weit besser aufgehoben war. Leider starb er einige Jahre später in seiner LondonerGemeinde. Die Gruppe brachte auch regelmäßig eine Zeitschrift heraus, die ›The Failiure Press‹ hieß (mit Absicht so geschrieben) und zu der ich das Kreuzworträtsel beisteuerte. Ein Teil der Beiträge wurde im sogenannten »New Model Alphabet« gedruckt, dessen genaue Erklärung mehrere Seiten in Anspruch nehmen würde. Das »New Model Alphabet« produzierte Sätze wie »phaij phajboo ajbo jjjbo«, die selbst für Eingeweihte nur mit einiger Mühe zu knacken waren. Der Rest beschäftigte sich mit Corvinem Material (alles, was irgendwie mit den Werken Corvos zusammenhing), während die Zeitschrift später, als ich schon längst nicht mehr dazugehörte, einem hirnrissigen libertären Wahn erlag und einen infamen, Gift und Galle verspritzenden Anti-Semitismus propagierte: Der Titel war insofern schon immer Programm oder warnendes Menetekel. In ihren Anfangstagen war die Zeitschrift unbedarft, zuweilen unterhaltend, aber immer auf hohem intellektuellen Niveau. In einer Stadt wie King’s Lynn sind solche Geister selten, und im Kreis dieser Leute lernte ich auch meine vorübergehend beste und bis heute einzige echte Freundin kennen,

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