Columbus war ein Englaender
die Popplewells für mich ein Symbol für alles, das mit Erfolg, Anerkennung und einem von den Göttern in den Schoß gelegten Wohlstand zu tun hatte. Noch wichtiger aber war, daß man sie einfach lieben mußte: Sie waren für mich der lebendige Beweis, daß man sich durchaus anpassen und gesellschaftlich hervortun konnte, ohne dabei seine Integrität, seine Ehre, seinen Charme und seinen Anstand einzubüßen. Ich war immer davon überzeugt gewesen, daß mein Vater – mit seiner peinlich bemühten Rechtschaffenheit und seiner krankhaften Ablehnung gesellschaftlichen Erfolgs – wie sie hätte sein können, wenn er sich nur nicht in seine entlegene Festung im hintersten Winkel von Norfolk zurückgezogen hätte.
Vielleicht glaubte ich sogar, mein an Booton und Uppingham geknüpftes Versagen könne durch meine Rückkehr nach Chesham getilgt werden. Hätte man mich nicht von Chesham nach Norfolk verfrachtet, hätte ich womöglich eine ähnlich glänzende Karriere wie die Brookes oder Popplewells hingelegt, denn ich wäre von Anfang an mit dabeigewesen. Ich wäre als gesunder, sensibler, begabter, rechtschaffener und anständiger Knabe groß geworden, anstatt mich in das chaotische Nervenbündel zu verwandeln, das ich jetzt war. Ich weiß nicht, ob ich tatsächlich so dachte, aber die Brookes und Popplewells empfingen mich mit offenen Armen, entweder weil sie mir die Geschichte abkauften, nach der ich mir zwischen der Bekanntgabe der A-Level-Resultate und dem Studienbeginn ein paar Tage Ferien gönnte, oder weil ihnen ihr Anstand weitere Nachfragen verbot. Die Popplewells hatten zwei Cricket-Spieler des australischen Teams im Haus zu Gast, Ross Edwards und Ashley Mallett, worüber ich völlig aus dem Häuschen geriet: Cricket war mittlerweile eine feste Größe in meinem Leben geworden. Ashley Mallett erzählte mir etwas, das ich einfach nicht glauben wollte und das mir großes Kopfzerbrechen bereitete. Für ihn war professionelles Cricket die reinste Hölle, weil dieQual eines verlorenen Spiels weit schlimmer war als die Freude über einen Sieg. Edwards widersprach ihm, aber Mallett ließ sich von seiner Meinung nicht abbringen. Heute weiß ich, daß beide lediglich unterschiedliche persönliche Standpunkte vertraten, aber damals ging es für mich um alles. Nur einer von beiden konnte recht haben. War der Schmerz der Niederlage tatsächlich tiefer als die Freude über den Sieg? Wenn ja, lagen Robert Browning und Andrea del Sarto falsch: Der Griff des Menschen nach den Sternen rechtfertigte nicht den Himmel, sondern die Hölle.
Nach etwa einer Woche unbeschwerter Ausgelassenheit im Haus der Brookes zog ich strahlend und voller Dankbarkeit weiter.
Mit im Gepäck hatte ich Patrick Brookes Diner’s-Club-Karte, und von da an kannte der Wahnsinn kein Halten mehr.
Damals benötigte man für Einkäufe mit der Kreditkarte unter fünfzig Pfund lediglich eine Unterschrift und einen Scheckkarten-Inprinter. Computerkassen, bei denen man einfach nur die Kreditkarte durch einen Schlitz zieht, gab es noch nicht. Zu meiner eigenen Rechtfertigung tröstete ich mich mit dem Gedanken, daß, sobald der Verlust der Karte gemeldet wurde, nicht Mr. Brookes Konto belastet würde, sondern das der Diner’s-Club-Gesellschaft. Aber was heißt das schon? Wie sollte ich für irgendeine meiner Handlungen den leisesten Funken von Anstand, Gemeinsinn oder Respekt in Anspruch nehmen, nachdem ich mich an der Handtasche einer Rentnerin vergriffen und auch sonst überall bedient hatte, wo Geld zu holen war.
Die nächsten Wochen verbrachte ich in einer Art kakophorischem, wenn es dieses Wort geben sollte, Rausch – also einem Zustand freudloser, euphorischer Überdrehtheit, den ein Psychiater vermutlich als Aufschwungphase manischer Depression oder als bipolare Zyklothymie oder wie auch immer bezeichnen würde. Mit anderen Worten, das genaue Gegenteil zu dem teilnahmslosen Elend, das mich einigeMonate zuvor dazu veranlaßt hatte, einen tödlichen Pillencocktail zu schlucken. Ich weiß noch, daß ich nach London fuhr und dort meinen Schlafsack, in den ich meine ganze Habe (vornehmlich Bücher) eingerollt hatte, gegen einen brandneuen Koffer eintauschte. Ich quartierte mich vorübergehend im Imperial Hotel am Russell Square ein, bewarb mich um einen Job als Vorleser für die Blinden-Bücherei und besuchte regelmäßig die American Bar des Ritz-Hotels, wo ich mich mit dem Barkeeper Ron anfreundete, dessen große Leidenschaft die Renaissance-Malerei war.
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