Columbus war ein Englaender
Dünnschiß verbreiten?«
Es wäre gemein, sich über eine derartige geistige Beschränktheit und erschreckende Einfallslosigkeit lustig zu machen, die letztendlich ein tragisches Handicap bedeuten, da allein diejenigen, denen nie ein Licht aufgeht, die wirklich Leidtragenden sind, aber damals wußte ich das selbstverständlich noch nicht und glaubte, diese kleinen Scheißer hätten recht und die ganze Welt des Geistes sei in Gefahr. Außerdem war ich ein fürchterlicher Aufschneider und redete mich jedesmal in Rage, indem ich meine Sache mit moralischem Feuereifer und der ganzen Flinkheit meiner jüdischen Schwuchtelzunge verteidigte. Nicht, daß irgendeiner der schwerfälligen Dickschädel in Uppingham sich durch Argumente von der Überzeugung hätte abbringen lassen, Kunst, Literatur und dasSpiel der Ideen seien mehr als bloße »Hirnwichserei«. Ganz im Gegenteil. Je besser man argumentierte, desto deutlicher bewies dies, daß alles nur schöne Worte waren.
»Ach Fry, man kann für alles und jedes schlaue Argumente finden. Recht hat man damit noch lange nicht.«
Eine der großen Ironien des britischen (anti-)intellektuellen Lebens besteht darin, daß sich eine nebulöse Vorstellung des modernen Relativismusgedankens tief in ihm eingenistet hat und dafür sorgt, aller Logik und Rationalität zu mißtrauen und sie herunterzumachen. Eine Aussage über ein Kunstwerk kann beispielsweise ohne weiteres als »Schaumschlägerei« oder »geistiger Dünnschiß« abgekanzelt werden – mit anderen Worten, als substanzloses, aus der Luft gegriffenes Kunstgewäsch –, während gleichzeitig jeder Versuch einer logischen oder rationalen Begründung angesichts einer Welt, in der »ohnehin alles relativ ist«, als »Privatmeinung« oder »Wortklauberei« abgetan wird.
Ich wünschte, Forsters 1934 geschriebener Nachruf auf den Kunstkritiker Roger Fry (soweit ich weiß, bestehen keine verwandtschaftlichen Beziehungen) wäre mein eigener ... ein größeres Lob könnte ich mir schwerlich vorstellen.
Was ihn auszeichnete und ihn so kostbar im England des 20. Jahrhunderts machte, war bei aller Modernität sein unbedingter Glaube an die Vernunft ...
Er lehnte jede Autorität ab, mißtraute aber ebenso der Intuition. Gerade das macht seinen Verlust so unersetzlich. Wenn man ihm sagte: »Das muß richtig sein, alle Experten behaupten das ... Hitler genauso wie Marx, Jesus Christus oder die ›Times‹«, erwiderte er nur: »Nun. Denken wir nach und gehen wir der Sache auf den Grund.« Also ging er der Sache auf den Grund und öffnete einem die Augen. Zuletzt wurde einem klar, daß eine einflußreiche Meinung große Fürsprecher haben und dennoch falsch sein kann ...
Die Intuition lehnte er keineswegs rundherum ab. Er wußte,daß sie ein Teil unserer geistigen Ausrüstung ist und daß der intellektuelle Feinsinn, den er bei sich und anderen schätzte, eng damit verbunden ist. Aber er wußte auch, daß sie uns in tanzende Derwische verwandeln kann und daß derjenige, der etwas für wahr hält, weil er es instinktiv spürt, sich nur wenig von demjenigen unterscheidet, der daran glaubt, weil es ihm von einem Polizeiknüppel eingebleut wird.
Mit anderen Worten, Forster beschreibt einen klassischen Geist, einen griechischen Geist. Man kann es nur als Ironie bezeichnen, daß die klassische Erziehung englischen Zuschnitts ausnahmslos zu gegenteiligen Resultaten geführt hat. Der Zögling einer englischen Public School kann ohne weiteres mit der festen Überzeugung durchs Leben gehen, die Vorstellungskraft sei das gleiche wie schwärmende Phantasie, Ideen nur trügerische Verzierung und als solche überflüssig für die eigentlichen Erfordernisse des Lebens, was ihn zu einem perfekten Abbild unseres Zeitalters der Unvernunft macht: Mit Wonne widmet er sich der mühseligen Erbsenzählerei des Nuffield-Empirismus, mißtraut aber jeder abstrakten Hypothese. Er lebt zwischen den Extremen der unumstößlichen Wahrheiten von Konvention und gängigen Moralvorstellungen auf der einen und dem diffusen, geistlosen Aberwitz eines falsch verstandenen Relativismus, privater Meinung und New-Age-Hokuspokus auf der anderen Seite, verwechselt Bedeutungstiefe mit Mystizismus und Relativismus mit der Vorstellung, jeder Gedanke lasse sich gleich gut verkaufen, ohne daß er mit den Mitteln der Logik, der Vernunft und der persönlichen Erfahrung geprüft werden müsse. Persönliche Katastrophen, Fehlschläge, Ehedesaster, private Tragödien, erlittenes Unrecht
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