Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
ein Schlag. Wie ein Schrei. Todesangst! Ja, nur die Todesangst besaß die Kraft, das Gefüge der Luft so zu verändern, dass sie wie von einem Peitschenhieb geteilt wurde.
Er rannte mit aller Kraft los. Galoppierte die Gasse entlang, flog wie ein schwarzes Geschoss durch die Lichtkegel. Als er in die Straße einbog, in der alles zusammenbrodelte – die Bedrohung, die Not, die Todesangst der Kätzin –, beachtete er den jungen Mann, der dort stand und rauchte, nicht. Er sah nur die Regentonne, in der, von außen unsichtbar, aber für ihn schmerzhaft deutlich fühlbar, die Kätzin um ihr Leben kämpfte. Er sprang auf einen Fenstersims, um von dort aus in die Tonne zu schauen.
Nein! Sie war verschlossen! Er sprang auf den Deckel, spürte unter seinen Tatzen die Verzweiflung der im Wasser strampelnden Kätzin. Er hörte ihr verlorenes Maunzen und wie sie panisch an Tonnenwand und Deckel kratzte. In einem verrückten Impuls kratzte auch er an dem Deckel. Als ob das etwas nützen würde.
Er sah zu dem jungen Menschen. Der bemerkte ihn nicht mal und sprach mit schleppender Stimme in ein Telefon. Von dem war keine Hilfe zu erwarten. Er musste selbst eine Lösung finden. Er zwang sich zur Ruhe. Der Deckel hatte keinen Rand, lag nur flach auf. Wenn er einen festen Halt fände, könnte er ihn mit den Hinterpfoten wegstoßen. Der verwitterte Fenstersims? Zu hoch. Die Hauswand mit dem bröckeligen Putz? Die bot keinen stabilen Halt.
Aber es war die einzige Chance.
Mit den Hinterpfoten auf der Tonne und den Vorderpfoten an der Hauswand, drückte er gegen den Deckel. Doch seine Kraft reichte nicht aus, um ihn wegzuschieben.
Er hörte wieder das verzweifelte Maunzen aus dem Inneren der Tonne. Die Kätzin musste am Ende ihrer Kräfte sein. Der Gedanke, dass sie unter ihm ertrinken würde, versetzte ihn in verzweifelte Raserei. Ohne Rücksicht auf sein Gleichgewicht stieß und stemmte er sich gegen den Deckel. Immer wilder kämpfte er gegen das störrische Gewicht dieses leblosen Dings, stieß mit einem fauchenden Schrei dagegen. Endlich löste sich der Deckel mit einem Ruck, rutschte von der Tonne und fiel scheppernd zu Boden.
Im gleichen Moment verlor er den Halt. Gerade noch konnte er sich mit den Vorderläufen an der Kante der Tonne festklammern. Sein Schwanz und seine Hinterpfoten tauchten in das widerliche Wasser. In heller Panik versuchte er, sich hochzuziehen, als sich nadelspitze Krallen in sein Fell, seinen Rücken, seine Flanken bohrten. Er schrie vor Wut und Schmerz, während er gleichzeitig begriff, dass die Kätzin in Panik seinen Körper einfach als Leiter benutzte! Ihr Gewicht zog ihn in die Tiefe, wieder drohte er, den Halt zu verlieren. Er fasste nach. Ignorierte den Schmerz. Konzentrierte sich nur noch darauf, nicht zu fallen.
Endlich war die Kätzin bei seinem Kopf angelangt und sprang sofort auf den engen Fenstersims. Er folgte ihrem Beispiel, indem er sich, wild mit den Hinterbeinen tretend, aus der Tonne hochzog. Auch für ihn gab es nur den moosbewachsenen Sims als Rettung. Er sprang. Aber noch bevor er aufsetzen konnte, langte sie fauchend zu. Er hatte keine Chance auszuweichen. Jede Bewegung hätte ihn in die Tonne stürzen lassen. Er konnte lediglich den Kopf einziehen, so dass sie ihm das Ohr statt des Auges zerfetzte. Der Hieb war so blitzschnell, dass er den grellen Schmerz erst spürte, als die tropfnasse Kätzin längst in die Gasse gesprungen und davongerast war.
Erst als das Wüten in seinem Ohr nachließ, bemerkte er wieder den jungen Menschen, der unter einer der altmodischen Laternen stand. Der Halbwüchsige glotzte ihn mit offenem Mund an. Und dann rollte der Schmerz über den Wanderer hinweg.
Er sah in das dunkle Wasser der Tonne, in dem sich Sterne spiegelten und das beinahe sein Verderben und das der Kätzin geworden wäre. Ein schwarzes, fremdes Katzengesicht starrte ihm aus dem Wasser entgegen. Das Bild löste sich auf, als ein Blutstropfen aus seinem aufgeschlitzten Ohr hineinfiel. Aber gut, ein entstelltes Ohr war kein zu hoher Preis für ihrer beider Leben. Allerdings war ihre Art, Danke zu sagen, doch ein wenig … ruppig.
Als das harte Pochen seines Herzens nachließ, witterte er in die warme, klare Nacht.
Es ist noch nicht vorbei.
Die Haut unter seinem Fell zog sich in Wellen zusammen.
Die Gefahr des Flügelschattens war ganz nah.
Die Augen des Wanderers zuckten, als er den Ursprung der bösen Kraft suchte. Doch es war nicht sein Sehsinn, der das Böse entdeckte.
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