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Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Titel: Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Bagnol
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zurückzufahren. Sie ließ die Fenster offen, und der Fahrtwind trieb ihr die Gerüche der provenzalischen Berglandschaft in den Wagen. Thymian und Flusswasser. Der fleischige, sinnliche Duft der Trüffel. Sogar den Geruch von Nadelwaldboden und süßem Kuchenteig konnte sie wahrnehmen. Marseille roch meist nach Abgasen, Kardamom und Blut.
    Was, wenn sie bei der nächsten Kurve einfach geradeaus fuhr? Wäre das nicht eine berechtigte Abkürzung?
    Ach, Saddie. Wer abkürzt, trifft nur schneller auf den Tod.
    Sie dachte an die Worte ihres Vaters. Er hatte sie Saddie genannt. Seine Abkürzung war eine verirrte Bac-Pistolenkugel gewesen, bei einer Straßenschießerei im Panier-Viertel.
    Zadira hielt die Luft an und schaltete bei unvermindertem Tempo die Schweinwerfer aus.
    Ich komme, papa. Ich komme.
    Es war, als würde sie unter Wasser dahinschießen. Ein U-Boot, allein, geräuschlos und in stiller Wut.
    Sie wartete, dass sie gegen einen Baum prallte.
    Sie wartete, dass sie über den Rand der Welt hinausflog.
    Verdammt, nein!
    In einem wilden Impuls bäumte sich ihr Lebenswille auf. Nicht wegen dieser Dreckskerle. Zadira stieß die angehaltene Luft aus, schaltete die Scheinwerfer wieder ein.
    Sie brauchte dringend etwas zu trinken.
    Zadira hatte die Bars in Mazan bisher gemieden. Aber jetzt sah das Café Lou Càrri gegenüber dem Altstadtring aus wie eine der kreolischen Bars im Noailles-Viertel von Marseille.
    Zadira hielt auf dem Parkplatz vor der Apotheke und stieg aus. Sie hörte Livemusik. 70er- und 80er-Jahre-Songs, die Bee Gees, Bob Marley.
    Wenig später drängte sich Zadira zwischen den Zuhörern zum Tresen durch. Auf dem Weg grüßte sie mit einem Nicken Mazans einzigen Engländer, Jeffrey Spencer. Sie war ihm auf dem Wochenmarkt vor dem Rathaus begegnet, und er hatte sie am Melonenstand in ein Gespräch verwickelt. Heute im Lou Càrri trug der Mittvierziger ein lilaweiß kariertes Oberhemd zu einer grünen Leinenhose mit Bügelfalte. Zadira stand zwar nicht auf Prinz-Harry-Typen mit Hugh-Grant-Lächeln, aber sie mochte Jeffreys Humor. Spencer hatte ihr bei ihrem Melonen-Gespräch erzählt, sein Kater Oscar sei eine Reinkarnation von Oscar Wilde.
    Zadira bestellte Gin Tonic. Der Barmann, der sich als Jean-Luc vorstellte, servierte ihr ein Schälchen schwarze schrumpelige Oliven dazu. Sie schmeckten köstlich.
    Wieder schaute Zadira zu der dreiköpfigen Band. Der junge Sänger mit den Piratenaugen lächelte ihr zu.
    Viel zu jung.
    Dennoch gefiel er ihr. Als hätte der Gedanke an den Tod ihre Lust aktiviert. Für einen Moment stellte sie sich vor, mit ihm zu schlafen. Und aufzuwachen. In ihrer Dachwohnung gegenüber der Kirche von Mazan, die Zadira sich weigerte, mit mehr als einer Matratze, einem Küchentisch und zwei Stühlen einzurichten. Vom Küchenfenster aus konnte sie Weinberge und den Mont Ventoux sehen.
    Sie nahm einen tiefen Schluck von ihrem Gin Tonic.
    Non. Keine Experimente mehr mit Männern.
    Während die Band »Stayin’ Alive« spielte, bemerkte Zadira im breiten Spiegel über dem Tresen den Mann im teuren Anzug, der auf der anderen Seite des Raumes saß. Er beobachtete sie. Mit kühlem, nachtschwarzem Blick. Sein markantes Cäsarengesicht erinnerte sie flüchtig an Jeremy Irons.
    Seine Körperhaltung war selbstbewusst. Ein reicher Mann, das war ihm anzusehen. Ebenso dass er es gewohnt war, Entscheidungen zu treffen und Menschen wie Schachfiguren hierhin, dorthin, in den Abgrund zu schieben. Ein Machtmensch.
    Dreißig Jahre auf den Straßen von Marseille, fünfzehn davon als Polizistin, hatten Zadira gelehrt, in Menschen zu lesen. Alles, was ihnen wichtig war, schlug sich in ihrer Mimik, ihren Gesten nieder, die unkontrollierbar waren. In ihrer Körperhaltung und ihrem Auftreten, in ihrer Gewohnheit, zu schauen, zu gehen, ja, sogar zu schlucken. Zadira war gut darin, diese Details zu entschlüsseln.
    So wie bei Gaspard, ja? Da hast du das machthungrige Tier auch schon von weitem erkannt. Und wieder weggeschaut.
    Sie nahm einen zweiten Schluck. Sie erkannte bei dem Jeremy-Irons-Typ einen bestimmten Blick. Er erinnerte Zadira an die macs, die Luden vor den klebrigen Bars auf dem Boulevard de la Pomme, die sich bei Pastis und Kartenspiel mit ihren Pferdchen goldene Hoden verdienen wollten. Stets auf der Suche nach Frischfleisch. Mehr als einmal hatte ihr ein mac angeboten, bei ihm anzufangen, falls es mit der Bullerei nicht mehr klappte.
    Aber dieser Kerl im Anzug war anders. Er war

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