Conan der Befreier
»General Procas hat es zweifellos kein Glück gebracht. Gib es mir!«
Hastig streifte der Gefangene die Kette über den Kopf und reichte Conan mit zitternden Fingern das Amulett. In diesem Moment kam Trocero dazu. Conan, der den Obsidian vor seine Augen hielt, murmelte: »jetzt weiß ich, wo ich das Ding schon gesehen habe. Die Tänzerin Alcina trug es um ihren Hals.«
Trocero hob die Brauen. »Aha! Das erklärt ...«
»Später!« wehrte Conan ab. Er nickte dem Gefangenen zu und setzte seine Inspektion fort.
Als die Strahlen der Morgensonne die Wölkchen am Osthimmel zum Erröten brachten, holperten Conans Versorgungswagen, begleitet von der Nachhut, durch den Alimane, und bald darauf setzte die Befreiungsarmee sich auf den Marsch durch Poitain nach Culario, mit dem nächsten Ziel, das große Tarantia und der Königspalast. Aquilonischen Boden betreten zu dürfen, nach so vielen Monaten in einem schroffen Gebirgsland, versetzte die Rebellenkrieger in beste Stimmung. So müde und erschöpft sie auch nach der schweren Nacht des Kampfes waren, sangen sie jetzt doch aus vollem Hals Marschlieder, während sie zwischen den hohen poitanischen Eichen nordwärts stapften.
Schneller als der Wind eilte ihnen die frohe Kunde voraus: Der Befreier kommt! Von Gehöft zu Dorf, Städtchen und Stadt verbreitete sie sich. Nur ein verstohlenes Raunen zuerst, doch dann ein immer lauter werdender Ruf, ein Brüllen, wie Monarchen es fürchten, da es den Sturz eines Thrones, ja vielleicht gar einer ganzen Dynastie ankünden mag.
Conan und seine Offiziere, die auf edlen Rossen vorausritten, waren höchst erfreut. So wie es aussah, versprach der Marsch durch Graf Troceros Gebiet wie ein Flug auf Adlerschwingen zu werden. Die nächsten Königstruppen, die von ihrem Vorstoß noch nichts ahnten, befanden sich Hunderte von Meilen entfernt. Und da Amulius Procas in seinem Grabe ruhte, hatten sie keinen Gegner zu befürchten, ehe sie das schöne Tarantia erreichten. Natürlich würden die Stadttore verschlossen und verbarrikadiert sein, daran zweifelten sie nicht. Und die Schwarzen Drachen, die Leibgarde des Königs, würde zur Verteidigung ihres Monarchen und der Stadt bereit sein. Aber da das Volk hinter ihnen stand und ein Thron auf sie wartete, würden sie alle Verteidigungsmaßnahmen überwinden und jeden Feind zerschmettern.
Doch in letzterem irrten die Rebellen. Ein Feind blieb, von dem sie nur wenig wußten – das war der Zauberer Thulandra Thuu.
In seinem purpurnen Zaubergemach, das von den Kerzen aus Leichentalg erhellt wurde, saß Thulandra Thuu grübelnd auf seinem schwarzen Thron. Er starrte in den Obsidianspiegel und versuchte, allein durch seine Willenskraft der undurchsichtigen Scheibe klare Bilder von Personen und Ereignissen an fernen Orten zu entlocken. Schließlich lehnte er sich seufzend zurück und schloß die ermüdeten Augen. Nach einer Weile studierte er erneut das Pergament in seinen spinnendürren Fingern, auf dem die astrologischen Aspekte eingetragen waren, nach denen er sich bei einer okkulten Übertragung richtete. Er schaute auf die vergoldete Kristallwasseruhr, doch am Tag und an der Stunde konnte es nicht liegen, daß er keinen Erfolg hatte. Was immer auch der Grund war, Alcina hatte versäumt, sich zu der bestimmten Zeit mit ihm in Verbindung zu setzen, und das nun schon seit Tagen.
Ein Klopfen riß ihn aus seinen düsteren Überlegungen. »Herein!« rief Thulandra Thuu mit Lippen, die vor Enttäuschung fast zitterten.
Der Vorhang wurde geöffnet und Hsiao stand auf der Marmorschwelle. Der Khitan verbeugte sich und meldete: »Herr, Lady Alcina ersucht, mit Euch sprechen zu dürfen.«
»Alcina!« Die Schärfe des Tones verriet die Erregung des Zauberers. »Führ sie sogleich herein!«
Der Vorhang schloß sich lautlos und wurde wieder geöffnet. Alcina taumelte herein. Ihr Pagenkostüm klebte in Fetzen an ihr. Es war grau von Staub und mit getrocknetem Schlamm überzogen. Das schwarze Haar war zerzaust und ebenfalls steif von Lehm, der auch ihr verängstigtes Gesicht bedeckte. Ihre Füße vermochten sie kaum noch zu tragen, als sie sich in das Gemach schleppte. Das betörend schöne Mädchen, das siegessicher nach Messantia aufgebrochen war, wirkte nun wie eine Frau im Winter ihres Lebens.
»Alcina!« rief der Zauberer. »Woher kommt Ihr? Was führt Euch hierher?«
Mit kaum vernehmbarem Flüstern bat sie: »Meister, darf ich mich setzen? Ich bin so müde!«
»So setzt Euch doch!« Als Alcina
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