Cook, Robin
Liter pro Minute Kohlendioxyd in Kristins Bauchhöhle.
Während sie darauf warteten, dass sich der Bauchraum mit der erforderlichen Menge Gas füllte, nahm die Katastrophe ihren Lauf. Dr. Smith hatte seinen Blick auf die Monitore zur Überwachung der Atmung und der kardiovaskulären Funktionen seiner Patientin gerichtet, um sofort zu registrieren, wenn der intraabdominale Druck zu hoch wurde. Deshalb übersah er zwei scheinbar harmlose Anzeichen: nämlich dass Kristin ihr linkes Bein leicht beugte und dass ihre Augenlider flatterten. Hätte Dr. Smith oder ein anderer Kollege des Teams diese Bewegungen wahrgenommen, wäre ihm sofort klar gewesen, dass Kristins Narkose nachließ. Sie war zwar immer noch bewusstlos, aber sie war kurz davor aufzuwachen, und der ansteigende Druck in ihrem Bauch und das damit einhergehende unangenehme Gefühl beschleunigten den Aufwachprozess noch.
Plötzlich stöhnte Kristin und richtete sich auf. Sie schaffte es zwar nicht ganz bis in Sitzposition, denn Dr. Smith griff intuitiv nach ihren sich erhebenden Schultern und drückte sie wieder hinunter, doch es war trotzdem zu spät. Durch ihr Aufrichten bohrte sich die Veress-Nadel, deren eines Ende sich in Dr. Saunders’ Hand befand, tief in ihren Bauch, wo sie eine große intraabdominale Vene durchstieß. Bevor Dr. Saunders das Insufflationsgerät stoppen konnte, gelangte eine beträchtliche Menge Gas in Kristins Gefäßsystem.
»Oh, mein Gott!«, schrie Dr. Smith entsetzt. Durch sein Stethoskop hörte er deutlich jenes gefürchtete Knirschen, das sich anhörte wie zwei aneinander reibende Mühlsteine und das sich im nächsten Moment, als das Gas das Herz erreichte, zu dem ohrenbetäubenden Gerüttel einer Waschmaschinenschleuder steigerte. »Wir haben eine Luftembolie!«, schrie er. »Legen Sie sie sofort auf die linke Seite!«
Dr. Saunders riss die blutige Nadel aus Kristins Bauch und warf sie zur Seite, im nächsten Augenblick landete die Nadel klirrend auf dem gefliesten Boden. Dann half er seinem Kollegen, Kristin auf die Seite zu rollen. Mit diesem verzweifelten Versuch wollten sie erreichen, dass das Gas in der rechten Herzhälfte blieb. Dr. Saunders stemmte sich mit aller Kraft gegen Kristins Körper, um ihn in dieser Lage zu halten. Ob wohl sie immer noch nicht bei Bewusstsein war, wehrte sie sich.
Dr. Smith versuchte in höchster Eile, seiner Patientin so aseptisch wie möglich einen Katheter in die Vena jugularis zu schieben. Kristin sträubte sich und kämpfte heftig gegen das auf ihr lastende Gewicht, wodurch es so gut wie unmöglich war, den Katheter einzuführen. Es war, als zielte man mit einem Gewehr auf ein bewegliches Ziel. Dr. Smith überlegte, ob er die Propofoldosis erhöhen oder ihr mehr Mivacurium geben sollte, entschied sich dann aber dagegen, weil ihm die Zeit davonlief. Schließlich gelang ihm die Gefäßpunktion, doch als er den Kolben der Spritze zurückzog, befand sich in dem Röhrchen nichts als blutiger Schaum. Ein erneuter Versuch brachte das gleiche Ergebnis. Er schüttelte bestürzt den Kopf, doch bevor er etwas sagen konnte, wurde Kristin plötzlich steif. Im nächsten Augenblick wurde sie von heftigen Krämpfen und Zuckungen geschüttelt. Es bestand kein Zweifel – sie litt unter einem heftigen generalisierten Krampfanfall.
Hektisch nahm Dr. Smith das neu aufgetretene Problem in Angriff, wobei er mit aller Kraft gegen sein flaues Gefühl im Magen ankämpfte. Er wusste nur zu gut, dass der Beruf des Anästhesisten in erster Linie durch lähmende, sich wiederholende Routinetätigkeiten gekennzeichnet war, die jedoch gelegentlich von absoluten Horrorepisoden unterbrochen wurden, und dies war ein solcher dramatischer Zwischenfall: Es gab eine schwere Komplikation bei einer jungen, gesunden Patientin, die sich freiwillig einem Eingriff unterzogen hatte.
Dr. Saunders und Dr. Donaldson traten einen Schritt zurück, die behandschuhten Hände vor ihren OP-Kitteln gefaltet. Gemeinsam mit den beiden Krankenschwestern verfolgten sie, wie Dr. Smith sich bemühte, Kristins Anfall unter Kontrolle zu bringen. Als er schließlich vorüber war, lag Kristin erneut regungslos auf dem Rücken. Niemand sagte ein Wort. Außer dem gedämpften Gedudel eines Radios, das durch die geschlossene Tür aus dem Sterilisationsraum in den OP drang, war lediglich das Schnaufen des Beatmungsgeräts zu hören, das für die Patientin das Atmen übernahm.
»Wie lautet Ihr Urteil?«, fragte Dr. Saunders schließlich. Seine vollkommen
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