0993 - Das Rätsel der Schattenfrau
Die letzten beiden Tage waren für Julia Sargasso wie eine Hinter mir stand Suko. Seine Hand spürte ich in meinem Rücken, als wollte er mich vorschieben. Eigentlich war es in dieser Gegend nicht üblich, daß man von Dealern auf der Straße angesprochen wurde. Wer sich hier seinen Laden eingerichtet hatte, der wollte verdienen, aber keinen Ärger mit der Polizei haben.
Aus dem Nichts erschien der Kleiderschrank. So schnell, daß ich nicht reagieren konnte. Aber der Mann mit den breiten Schultern und der Glatze packte nicht mich. Er kümmerte sich um Meister Stoppelhaar, preßte dessen Arme eng an den Körper, hob ihn dann an, ließ ihn strampeln und stöhnen, denn der Griff war verdammt schmerzhaft, dann warf er ihn einfach weg.
Ja, wie einen alten Lumpen. Er schleuderte ihn ein paar Meter weit zu Boden, wo Stoppelhaar aufschlug, vor Schmerzen jaulte, aber Glück hatte, daß ihn der Schwung nicht bis auf die Straße beförderte, wo er bei den dicht an dicht fahrenden Fahrzeugen keine Überlebenschance gehabt hätte.
Einige Passanten waren zur Seite gesprungen. Sie lachten oder hüpften über ihn hinweg, drehten sich nach ihm um, und Stoppelhaar kroch weiter, wobei er unablässig schrie. Er wußte, daß er seine Arme so schnell nicht wieder gebrauchen konnte. Der Schläger mußte mit ihnen etwas angestellt haben.
Gelassen drehte sich der Kleiderschrank auf zwei Beinen um. Ich hörte Suko hinter mir schnaufen. Er dachte wahrscheinlich das gleiche wie ich, und stand kurz davor, dem Bodyguard eine Lehre zu erteilen, die ihn sicherlich aufs Pflaster geschickt hätte, aber ich wollte hier kein Aufsehen. Trainieren konnte Suko im Camp.
»Laß es!« sagte ich.
»Aber ungern.«
»Ist egal.«
Der Kleiderschrank grinste uns an. »Sie können jetzt rein, meine Herren.«
Er wollte gehen und hatte sich schon halb umgedreht, als ich ihm auf die Schulter tippte. Er wirbelte wieder in die andere Richtung, Typen wie er fühlten sich eben immer attackiert, dann schaute er in mein lächelndes Gesicht und sah auch, wie ich den Kopf schüttelte. »Nur zur Erklärung, Mister. Wir beide sind Polizisten, und komischerweise haben wir es nicht so gern, wenn mit anderen Menschen umgesprungen wird wie mit Spielzeugen. Klar?«
Der Kleiderschrank saugte die Luft durch die Löcher seiner Kartoffelnase ein. »Ja, ich habe Sie verstanden.«
»Gut.«
»Aber Sie können trotzdem rein.«
»Das weiß ich.« Einen letzten Blick warf ich noch auf Stoppelhaar.
Jemand hatte sich erbarmt und ihm auf die Füße geholfen. Er hatte ihn dann wie eine Puppe mit dem Rücken gegen die Hauswand gedrückt, wo er stand und jammerte. Die Arme angewinkelt und zitternd. Sogar Tränen rannen über sein Gesicht.
Der Schläger hatte meinen Blick bemerkt. »Er war ein Dealer, und der Boß will, daß sein Lokal clean bleibt. Auch die Umgebung davor, wenn ihr versteht.«
»Alles, Meister«, sagte ich ihm und klopfte ihm auf die breite Schulter.
»Wir haben für vieles Verständnis, aber nicht für Dinge, die gegen Menschen gerichtet sind. Da reagieren wir empfindlich. Kann sein, daß Ihr Eingreifen noch ein Nachspiel haben wird.«
Er starrte uns an. Zuerst mich, dann Suko. Was er mit uns liebend gern getan hätte, stand in seinen Augen zu lesen, aber er durfte nicht, und so nickte er. »Ich soll Sie trotzdem zum Chef bringen.«
»Den Weg finden wir allein.«
»Aber Sie brauchen dann nicht durch das Lokal.«
»Wir gehen gern durch die Hölle. Und in der wirst du gleich stecken, wenn du nicht Platz machst«, erklärte Suko ihm.
Der Schläger nickte. Dann trollte er sich.
Suko schaute ihm nach. »Den hätte ich mir gern vorgenommen«, sagte er grimmig.
»Das hat man dir angesehen.« Ich lachte. »So, dann wollen wir mal die Hölle betreten.«
Es war natürlich nicht die richtige Hölle, sondern eine Disco, die sich Dancing Hell nannte. Hier konnte abgetanzt werden vom frühen Abend bis zum frühen Morgen. Warum das Lokal ausgerechnet Hölle hieß oder diesen Beinamen trug, das war uns nicht klar, denn in dieser Disco wurde nicht gerockt, da zuckte man auch nicht nach irgendwelchen Techno-Rhythmen allein auf der Tanzfläche herum, mit verkehrt sitzenden Kappen auf den Köpfen, den gepiercten Nasen, Lippen und Ohren. Da nahm man auch keine Schlucke aus den extrem teuren Dosen mit diesen künstlichen Aufputschdrinks, nein, diese Hölle war eine nette, eine ruhige, ja, schon eine gemütliche Hölle, denn hier wurden Oldies gespielt, die auch den Tango und
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